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Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen. Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Denn: Die klassischen Wege der Personalbeschaffung verlieren an Bedeutung.
In fünf Jahren werden soziale Netzwerke zu den wichtigsten Kanälen in der Personalbeschaffung zählen. Dies ergab eine Befragung der Fachhochschule Erfurt in Kooperation mit der Topos Personalberatung innerhalb der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Die Studie zeigt aber auch: Nur ein Fünftel der Unternehmen setzt sich bereits aktiv mit den Anforderungen und Möglichkeiten von Facebook, Xing und Co. auseinander, ausgereifte Konzepte gibt es demnach selten. Die häufigsten Argumente: zu hoher Aufwand, kein Budget, keine Kompetenz, zu wenig Zeit. In der Personalbeschaffung der Zukunft spielen außerdem Online-Stellenbörsen, die eigene Unternehmenswebseite und Headhunter eine immer wichtigere Rolle, so die Studie.
Online führt vor Print
Im Gegenzug verlieren klassische Wege der Personalbeschaffung, wie beispielsweise die gedruckte Stellenanzeige, weiter an Bedeutung. Ergebnisse, die sich laut Carl Christian Müller, Gründer und Berater der Topos Personalberatung, auch ohne Weiteres auf andere Branchen wie den Handel übertragen lassen. „Je mehr junge, internetaffine Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen, desto intensiver werden sich die Unternehmen – und zwar unabhängig von der Branche – zwangsläufig mit dem Thema Social-Media-Recruiting beschäftigen müssen“, so die Einschätzung von Müller.Immerhin haben die meisten Personaler die Tendenz erkannt: 38 Prozent der Studienteilnehmer halten das Thema Social Media schon heute für „wichtig“ oder gar „sehr wichtig“, vor allem, um jüngere Zielgruppen wie Azubis oder Praktikanten zu erreichen. „Die großen Player machen es vor, viele von ihnen sind, was Employer Branding und Imagebildung angeht, bereits im sozialen Netz aktiv“, so Müller. Bei der Besetzung von Stellen für gut ausgebildete Fachkräfte spiele Social Media hingegen bislang kaum eine Rolle. Das könnte sich jedoch rasch ändern, denn: Die Trainees von heute seien die Fachkräfte von morgen, so Müller. „Auch der Lebenmittelhandel nutzt das Potenzial nicht wirklich aus“, so IFH-Geschäftsführer Boris Hedde. „Dabei eröffnet die proaktive Bewerberansprache über Xing und Facebook Möglichkeiten, die Bewerberqualität- und quantität zu erhöhen.“ Allerdings müssten sich die Unternehmen dabei auch im Klaren sein, dass sie auf Rückfragen rasch reagieren und sich auch wirklich auf Dialoge einlassen müssen. „Je intensiver die Interaktion mit den potenziellen Arbeitnehmern, desto erfolgversprechender sind auch die Resultate“, erläutert Hedde.
Interaktiv statt werblich
„Die sozialen Medien sind schnelllebig, die Nutzer – vor allem die jüngeren – sind ungeduldig und erwarten schnelle Reaktionszeiten“, sagt Eva Zils,Geschäftsführerin von Online-Recruiting.net. Dem pflichtet auch Müller bei: „Es ist besonders wichtig, die kommunikativen Eigenheiten von Social Media im Blick zu haben.“ Eine zu werbliche Kommunikation könnte beispielsweise rasch vom Nutzer abgestraft werden. Stattdessen eignen sich vor allem authentische Aussagen von eigenen Mitarbeitern des Unternehmens. „Ich kann jedoch verstehen, dass viele Unternehmen sich lieber von ihrer Schokoladenseite präsentieren“, sagt Eva Zils. Sie rät daher zu einem goldenen Mittelweg – und übt im Unterschied zu vielen anderen Experten auch Kritik am Social-Media-Recruiting-Trend: „Soziale Medien reihen sich bei vielen Unternehmen bislang in den Personalmarketingmix ein, der mit der unmittelbaren Personalbeschaffung erst einmal wenig zu tun hat.“ Es bleibe daher abzuwarten, ob sich der Trend zu Social-Media-Recruiting langfristig überhaupt durchsetzen werde.
Anschluss nicht verpassen
Kurzum: Eine von ihr erstellte Studie hat ergeben, dass Personaler im Social Web aktiver werden (42 % verbringen mehr als eine Stunde pro Tag in sozialen Netzen, um Recruiting zu betreiben) und der Anteil an Direkt-ansprachen über Netzwerke und Lebenslaufdatenbanken zunimmt. Dabei wird in Deutschland am häufigsten das Xing-Firmenprofil für Social-Media-Recruiting eingesetzt (69%), unmittelbar gefolgt von einer (Karriere-)Präsenz auf Facebook (65%). „Für international versierte Unternehmen kann sich aber auch das Portal LinkedIn anbieten oder, je nach Land, auch ein lokales Forum“, so Zils. Die häufigsten Fehler aus Sicht der Expertin: Verzögerte Reaktionszeiten, die oft dadurch entstehen, dass jede kleinste Meldung mit der eigenen Unternehmenskommunikation abgestimmt werden muss. Ebenfalls problematisch: Ein Ableger von Social-Media-Recruiting, das sogenannte „Activ Sourcing“. Hier bombardieren Unternehmen bisweilen Bewerber mit Jobangeboten. „Dies geschieht häufig in Form einer Massenansprache, manchmal passen die Profilangaben nicht zum Stellenangebot“, so Zils. Bleibt die Frage: Lohnt es sich bei allen Unausgegorenheiten überhaupt, heute schon Social-Media-Recruiting zu betreiben? „Unternehmen sollten sich rechtzeitig vorbereiten, damit sie im Wettstreit um social-media-affine Digital Natives und High Potentials nicht den Anschluss verpassen, so Müller. Zils rät zu einem Experten im Unternehmen, der abwägt, inwieweit sich bestimmte Social-Media-Portale und deren neueste technische Errungenschaften für das Unternehmen eignen.