Personalbeschaffung 2.0

Freitag, 24. Januar 2014
Foto: www.johannmayr.de

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen. Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Denn: Die klassischen Wege der Personalbeschaffung verlieren an Bedeutung.

In fünf Jahren werden soziale Netzwerke zu den wichtigsten Kanälen in der Personalbeschaffung zählen. Dies ergab eine Befragung der Fachhochschule Erfurt in Kooperation mit der Topos Personalberatung innerhalb der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Die Studie zeigt aber auch: Nur ein Fünftel der Unternehmen setzt sich bereits aktiv mit den Anforderungen und Möglichkeiten von Facebook, Xing und Co. auseinander, ausgereifte Konzepte gibt es demnach selten. Die häufigsten Argumente: zu hoher Aufwand, kein Budget, keine Kompetenz, zu wenig Zeit. In der Personalbeschaffung der Zukunft spielen außerdem Online-Stellenbörsen, die eigene Unternehmenswebseite und Headhunter eine immer wichtigere Rolle, so die Studie.

Online führt vor Print

Im Gegenzug verlieren klassische Wege der Personalbeschaffung, wie beispielsweise die gedruckte Stellenanzeige, weiter an Bedeutung. Ergebnisse, die sich laut Carl Christian Müller, Gründer und Berater der Topos Personalberatung, auch ohne Weiteres auf andere Branchen wie den Handel übertragen lassen. „Je mehr junge, internetaffine Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen, desto intensiver werden sich die Unternehmen – und zwar unabhängig von der Branche – zwangsläufig mit dem Thema Social-Media-Recruiting beschäftigen müssen“, so die Einschätzung von Müller.Immerhin haben die meisten Personaler die Tendenz erkannt: 38 Prozent der Studienteilnehmer halten das Thema Social Media schon heute für „wichtig“ oder gar „sehr wichtig“, vor allem, um jüngere Zielgruppen wie Azubis oder Praktikanten zu erreichen. „Die großen Player machen es vor, viele von ihnen sind, was Employer Branding und Imagebildung angeht, bereits im sozialen Netz aktiv“, so Müller. Bei der Besetzung von Stellen für gut ausgebildete Fachkräfte spiele Social Media hingegen bislang kaum eine Rolle. Das könnte sich jedoch rasch ändern, denn: Die Trainees von heute seien die Fachkräfte von morgen, so Müller. „Auch der Lebenmittelhandel nutzt das Potenzial nicht wirklich aus“, so IFH-Geschäftsführer Boris Hedde. „Dabei eröffnet die proaktive Bewerberansprache über Xing und Facebook Möglichkeiten, die Bewerberqualität- und quantität zu erhöhen.“ Allerdings müssten sich die Unternehmen dabei auch im Klaren sein, dass sie auf Rückfragen rasch reagieren und sich auch wirklich auf Dialoge einlassen müssen. „Je intensiver die Interaktion mit den potenziellen Arbeitnehmern, desto erfolgversprechender sind auch die Resultate“, erläutert Hedde.

Interaktiv statt werblich

„Die sozialen Medien sind schnelllebig, die Nutzer – vor allem die jüngeren – sind ungeduldig und erwarten schnelle Reaktionszeiten“, sagt Eva Zils,Geschäftsführerin von Online-Recruiting.net. Dem pflichtet auch Müller bei: „Es ist besonders wichtig, die kommunikativen Eigenheiten von Social Media im Blick zu haben.“ Eine zu werbliche Kommunikation könnte beispielsweise rasch vom Nutzer abgestraft werden. Stattdessen eignen sich vor allem authentische Aussagen von eigenen Mitarbeitern des Unternehmens. „Ich kann jedoch verstehen, dass viele Unternehmen sich lieber von ihrer Schokoladenseite präsentieren“, sagt Eva Zils. Sie rät daher zu einem goldenen Mittelweg – und übt im Unterschied zu vielen anderen Experten auch Kritik am Social-Media-Recruiting-Trend: „Soziale Medien reihen sich bei vielen Unternehmen bislang in den Personalmarketingmix ein, der mit der unmittelbaren Personalbeschaffung erst einmal wenig zu tun hat.“ Es bleibe daher abzuwarten, ob sich der Trend zu Social-Media-Recruiting langfristig überhaupt durchsetzen werde.

Anschluss nicht verpassen

Kurzum: Eine von ihr erstellte Studie hat ergeben, dass Personaler im Social Web aktiver werden (42 % verbringen mehr als eine Stunde pro Tag in sozialen Netzen, um Recruiting zu betreiben) und der Anteil an Direkt-ansprachen über Netzwerke und Lebenslaufdatenbanken zunimmt. Dabei wird in Deutschland am häufigsten das Xing-Firmenprofil für Social-Media-Recruiting eingesetzt (69%), unmittelbar gefolgt von einer (Karriere-)Präsenz auf Facebook (65%). „Für international versierte Unternehmen kann sich aber auch das Portal LinkedIn anbieten oder, je nach Land, auch ein lokales Forum“, so Zils. Die häufigsten Fehler aus Sicht der Expertin: Verzögerte Reaktionszeiten, die oft dadurch entstehen, dass jede kleinste Meldung mit der eigenen Unternehmenskommunikation abgestimmt werden muss. Ebenfalls problematisch: Ein Ableger von Social-Media-Recruiting, das sogenannte „Activ Sourcing“. Hier bombardieren Unternehmen bisweilen Bewerber mit Jobangeboten. „Dies geschieht häufig in Form einer Massenansprache, manchmal passen die Profilangaben nicht zum Stellenangebot“, so Zils. Bleibt die Frage: Lohnt es sich bei allen Unausgegorenheiten überhaupt, heute schon Social-Media-Recruiting zu betreiben? „Unternehmen sollten sich rechtzeitig vorbereiten, damit sie im Wettstreit um social-media-affine Digital Natives und High Potentials nicht den Anschluss verpassen, so Müller. Zils rät zu einem Experten im Unternehmen, der abwägt, inwieweit sich bestimmte Social-Media-Portale und deren neueste technische Errungenschaften für das Unternehmen eignen.

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Soziale Medien werden in der Personalbeschaffung künftig eine immer größere Rolle spielen, darin sind sich viele Experten einig. Sind deutsche Unternehmen ausreichend gewappnet?

Die Aussage würde ich so nicht unterschreiben. Der Trend scheint derzeit in eine andere Richtung zu gehen: Soziale Medien reihen sich in den Personalmarketingmix ein, der mit der direkten, unmittelbaren Personalbeschaffung erst einmal wenig zu tun hat. Das Social Web ist nach wie vor sehr jung, die ersten Gehversuche im Social-Media-Recruiting sind noch nicht soweit, als dass man von wirklichen Erfolgen sprechen könnte. Ob sich der Trend hin zum Personalmarketing per Social Media durchsetzen wird, bleibt daher abzuwarten. Da der technische Fortschritt in den Medien stetig weiter geht und sich die Nutzererwartungen schnell ändern können – beispielsweise wird Facebook bei der Generation Z immer unbeliebter – rate ich zu einem Experten im Unternehmen, der sich kontinuierlich auf dem Laufenden über die technischen Neuerungen hält und abwägt, inwieweit sich diese für bestimmte Bereiche einsetzen lassen.

Welche Rolle spielen Print- und Onlinestellenanzeigen in der Personalbeschaffung?

Sowohl Print- als auch Onlineanzeigen spielen heute noch eine große Rolle. Print hat überregional sehr stark abgenommen und wird weiter abnehmen. Dennoch halten viele kleinere und mittelständische Unternehmen an einer lokalen Presseschaltung fest. Onlineanzeigen führen die "Hitparade" der Stellenbesetzungsmaßnahmen an – und das bereits seit Jahren. Das Prinzip ist einfach, kostenüberschaubar und schnell. Da Personalbeschaffung für Personalabteilungen nicht zwingend zu den Lieblingsbeschäftigungen gehört, wird sich diese Methode noch eine Weile halten.

Welche Social-Media-Portale sind für die Personalbeschaffung derzeit besonders wichtig?

Das ist pauschal nicht zu beantworten. Es muss immer geprüft werden, in welchem Bereich sich das Unternehmen wie aufstellt oder zukünftig aufstellen möchte. Die Auswahl der Medien ist stark abhängig von der Bewerbergruppe, die angesprochen werden soll. Für international versierte Kandidaten kann sich beispielsweise LinkedIn anbieten,  je nach Land auch ein lokales Forum, eine Entwickler-Community oder auch Seiten wie ebay oder amazon. Auch eine Recherche auf Branchenblogs kann eine Quelle für interessante Kandidaten sein. Wichtig ist, dass eine entsprechende Strategie vorhanden ist: Unternehmen müssen  im ersten Schritt genau definieren, wen sie suchen und was sie damit bezwecken wollen.

Wie präsentiert man sich als Unternehmen – auf der Suche nach neuen Mitarbeitern – im Social Web von seiner besten Seite?

Gerne wird das Wort "Authentizität" im Zusammenhang mit Social-Media- Recruiting verwendet. Ich kann jedoch verstehen, dass sich manche Unternehmen lieber von ihrer Schokoladenseite zeigen möchten. Der goldene Mittelweg wird hier die beste Lösung sein. Außerdem ist es äußerst hinderlich, wenn jede kleinste Meldung mit der Unternehmenskommunikation abgestimmt werden muss. Daher ist eine genaue Aufgabenunterteilung und -zuweisung im Vorfeld nötig, um Handlungsspielraum zu haben.

Was sind die größten Fehler der Unternehmen beim Thema Social-Media-Recruiting?

Der größte Fehler: keine Reaktivität. Die sozialen Medien sind schnelle und schnelllebige Medien, die Nutzer – vor allem die jüngeren – sind sehr ungeduldig und erwarten kurze Reaktionszeiten. Ich bin kein Fan von vorschnellen Reaktionen, die PR- oder Image-technisch nach hinten losgehen. Jedoch muss zeitnah und persönlich auf Fragen und Kommentare reagiert werden, entweder, indem genaue Moderationszeiten für Social Media angegeben werden oder mit einer kurzen Rückmeldung im Sinne von: "wir haben die Reaktion vernommen - bitte ein wenig Geduld für eine umfassende, qualifizierte Antwort".  Andere Fehler liegen im "Ableger" des Social-Media- Recruiting, dem so genannten "Active Sourcing": Hier bombardieren Unternehmen  Bewerber mit zum Teil unqualifizierten Jobangeboten in sozialen Business-Netzwerken (XING oder LinkedIn). Die Ansprache entspricht dabei häufig einer Massenansprache, manchmal passen die Profilangaben nicht zum Stellenangebot.

Gibt es Branchen, für die sich Social-Media-Recruiting besonders eignet?

Ja, alle Branchen, die sich von Berufs wegen schon im Netz und in Social Media tummeln, also alle Kommunikationsberufe, Marketing, IT,  Webdesigner, Grafiker, Journalisten, Berater und medienaffine Verkäufer.