Neues Bewusstsein

Mittwoch, 08. Oktober 2014
Fotos: GDI

Der Wertekanon junger Menschen verschiebt sich, Luxus wird neu definiert. Die Gesellschaftsforscherin Dr. Mirjam Hauser entwirft ein Szenario für den Konsum und die Arbeitswelt von morgen.

Frau Dr. Hauser, Ihre Disziplin ist die Erforschung der Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft. Welche Veränderung, welcher Wandel beeindruckt Sie aktuell am meisten?
Eine der interessantesten Entwicklungen ist für mich die neue Art von Luxus, für die sich immer mehr Menschen entscheiden. An die Stelle von Bling-Bling und herkömmlichen Statusobjekten tritt eine ausgeprägte Form von Schlichtheit, die in mannigfachen Ausprägungen kultiviert wird. Man imponiert nicht mehr mit einem großen Auto, sondern mit einer anspruchsvollen Küche daheim. Dazu gehören fundierte Kochkenntnisse, hochwertige Zutaten, ein ausgeprägtes Wissen darüber sowie viel Zeit zum Genießen. Wichtiger als rein materielle Dinge sind, um bei diesem Beispiel zu bleiben, Know-how und Geschichten rund um das Essen und die Zutaten sowie die Zubereitung von eigener Hand.

Welche neuen Antworten darauf muss der Händler liefern?
Das Leben hat sich in allen Bereichen beschleunigt, und die Menschen sind mehr unterwegs. Deshalb ist beim Einkaufen Convenience im Sinne von Erleichterung und Zeitersparnis gefragt. Diesem Bedürfnis kommt das Online-Shopping natürlich entgegen – große Herausforderungen bleiben aber die Vertrauensfrage und die Logistik. Gleichzeitig erleben wir bereits einen Gegentrend. Viele Menschen nehmen sich nämlich gerade bei ihrem neu entdeckten Luxus des bewussten Genießens mehr Zeit beim Einkauf von ausgesuchten Produkten. Davon profitiert der stationäre Handel, der seinen Kunden das Fühlen und Tasten, Riechen, Schmecken und Erfahren ermöglicht. Ich glaube, wir werden künftig eine Verschmelzung beider Trends erleben. Gewinner sind die Händler, die beide Kanäle, online und stationär, gekonnt verbinden.

Welche Ansprüche und Werte stehen heute bei den jugendlichen und jüngeren Erwachsenen obenan? Wie werden sie die gesellschaftlichen Konventionen und auch die Konsumwelt verändern?
Ein ganz spannendes Kapitel. Zum einen sind die Jüngeren heute überaus leistungsorientiert. Sie sind von Haus aus darauf getrimmt, das zu tun, was sie wollen und mögen - dies aber hochprofessionell. Die jungen Menschen haben heute alle Möglichkeiten, zu werden, was sie möchten. Sie haben aber auch ein starkes Bewusstsein dafür, was bei ihrer beruflichen Tätigkeit sinnvoll ist. So ist die Idee der Nachhaltigkeit stark verankert. Und: Der neue Luxus ist bei den Jüngeren noch viel stärker ausgeprägt.

Der Onlinehandel bedient in erster Linie die Bequemlichkeit und auch den Geiz der Menschen. Signalisiert der Onlineboom nicht, dass für den Konsumenten heute allein eine rationelle "Beschaffungslogistik" zählt?
Für Online spricht nach unserer Beobachtung vor allem Convenience, weniger der Geiz. Der günstige Preis ist eher eine Begleiterscheinung, die mitgenutzt wird. Die treibende Kraft jedoch ist das Praktische. Dem gegenüber steht das Erlebnis im stationären Geschäft. Ich erwarte, dass Convenience und Erlebnis online und stationär zusammenfinden. Schon heute bieten erfolgreiche Händler eine entsprechende Technologie in ihren Läden, die Service, Erlebnis und Mehrwert schaffen.

Haben sich bei den Konsumenten bestimmte neue Wünsche oder Bedürfnisse herausgebildet, die Handel und Hersteller über all ihre primär technischen E-Commerce-Services vergessen oder gar nicht mehr wahrnehmen?
Ohne Zweifel verstärkt sich der Wunsch nach Wissen und Inspiration und auch nach dem sinnlichen Erleben von Produkten. Ganz wichtig sind dabei die Geschichten hinter dem Produkt. Das fordert vom Handel, egal wie er organisiert ist, mehr Beratung, mehr Informationen und mehr Anregungen zu liefern. Die vielbeschworene Tugend des Erlebniskaufs muss viel stärker als bisher auf den Verkaufsflächen gelebt und umgesetzt werden.

Wie muss sich der Handel als Arbeitgeber aufstellen, um junge Menschen künftig als qualifizierte Mitarbeiter gewinnen zu können?
Die Herausforderung besteht für alle Arbeitgeber darin, das gesamte Umfeld am Arbeitsplatz für sinnsuchende und kreative Mitarbeiter attraktiv zu gestalten. Die Möglichkeit zur Weiterentwicklung ist jungen Menschen wichtig. Sie sind offen für einen konstanten Lernprozess, erwarten aber eine tolerante und wertschätzende Atmosphäre. Was sie stark hinterfragen, ist Inkompetenz von Vorgesetzten. Geschätzt werden indes Vorgesetzte, die kompetent und im Miteinander führen. Der junge Mitarbeiter ist überaus loyal gegenüber einem Projekt und der Arbeit an sich, nicht aber gegenüber dem Arbeitgeber per se. Gegenseitiger Respekt ist gefragt und ganz wichtig für die Bindung an das Unternehmen.

Bestehen nach Ihren Erkenntnissen in den Länder der DACH-Region größere Unterschiede darin, wie die Jugend "tickt"?
Viele Indizien und internationale Studien zum Thema signalisieren, dass die hier beschriebenen Typologien nicht nur im DACH-Raum, sondern eigentlich in allen industriealisierten OECD-Ländern gelten. Überall sind die jungen Leute mit der gleichen modernen Technik und großer Mobilität groß geworden, aber auch mit dem Gefühl, dass die alten Sicherheiten nicht mehr gelten. Auf die Idee zum Beispiel, einen Job sein Leben lang auszuüben, kommt in dieser jungen Generation keiner mehr.

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Personalie

Dr. Mirjam Hauser, Senior Researcher, GDI Gottlieb Duttweiler Institut Dr. Mirjam Hauser ist Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institut und analysiert Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft und Konsum mit den Schwerpunkten Werte, Einstellungen, Konsumentenverhalten und Ernährung. www.gdi.ch

 

Buchtipp

Auszeit statt Auto: Die neue GDI-Studie zeigt den Wandel im Luxusmarkt.

Der Luxusmarkt ist ein Frühwarnsystem für die Handelsbranche. Seine Trends machen sich bald auch in anderen Sektoren bemerkbar. Unter dem Titel „Der nächste Luxus: Was uns in Zukunft lieb und teuer ist“ analysiert das Schweizer GDI Gottlieb Duttweiler Institute die Umwälzungen in der Branche.

ISBN 978-3-7184-7091-1
Preis 92,00 CHF (PDF)
114,00 CHF (Hardcopy)