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Im «Food Report 2025» konzentriert sich Hanni Rützler darauf, wie sich die Trends der vergangenen Jahre gegenseitig unterstützen und welches Potenzial darin auch zukünftig steckt. Das Markant Magazin ONE hat mit der Expertin über die Herausforderungen und Chancen für den Lebensmittelhandel gesprochen.
Frau Rützler, was sind die Foodtrends 2025?
Hanni Rützler: Ich unterscheide zwischen Foodtrends, Produkttrends und medialen Hypes. Während die beiden Letzteren kurzfristige Entwicklungen beschreiben, signalisieren Foodtrends längerfristige Entwicklungen in unserer Esskultur und in unserem Ernährungssystem. Sie sind als Antworten auf aktuelle Probleme, Wünsche und Sehnsüchte zu verstehen. Es gibt daher auch nicht jedes Jahr neue Foodtrends und ganz besonders in Zeiten multipler Krisen nur wirklich wenig neue Entwicklungen. Allerdings gibt es Synergien zwischen diversen Foodtrends, die dann im Verbund zu einer höheren Dynamik führen.
Welche Trends entwickeln derzeit die grösste Dynamik?
Hanni Rützler: Trends, die potenzielle Lösungen für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Gesundheit anbieten. Das reicht von «Plant Based Food» über «Zero Waste» bis «Local Exotic», «Veganmania» und «Flexitarier»: Keine aktuell neuen, aber sich gegenseitig stärkende Trends. Besonders beeindruckend finde ich das Tempo und die Innovationskraft rund um das Spannungsfeld zwischen Regionalität und Globalität. Nach Jahren der intensiven Globalisierung kommt es erstmals zu einer Art Triebumkehr. Internationale Partnerschaften werden hinterfragt und neue regionale Kooperationen erdacht.
Wie sollte der Lebensmittelhandel Ihrer Ansicht nach darauf reagieren?
Hanni Rützler: Foodtrends zeigen Entwicklungen «im Aussen» auf, sie spiegeln wandelnde gesellschaftliche Werte und veränderte Bedürfnisse von Konsumenten wider. Im Inneren von Unternehmen lösen sie oft unterschiedliche Reaktionen aus, die von Inspiration bis Ignoranz reichen. Wenn es Handelsunternehmen gelingt, ihre Innenwelt mit der durch Foodtrends repräsentierten Aussenwelt produktiv in Verbindung zu bringen, dann können sie auf Trend-Inspirationen erfolgreich reagieren.
Wie kann der Lebensmittelhandel das Potenzial erfolgreich nutzen?
Hanni Rützler: Entscheidend ist, nicht auf irgendeinen Trend aufzuspringen und entsprechend das Sortiment zu erweitern oder eine PR-Kampagne mit Trend-Wording zu starten. Vielmehr geht es darum, sich aktiv mit dem Wandel der Esskultur, das heisst mit der Vielfalt an Foodtrends, auseinanderzusetzten, und auch verstehen zu lernen, dass diese Entwicklungen im Aussen stattfinden. Um von Foodtrends profitieren zu können, müssen Unternehmen zunächst im Inneren klären, welche Zukunft sie unterstützen wollen. Denn Zukunft entsteht im Inneren des Unternehmens. Erst wenn das geklärt ist, macht es Sinn, sich aktiv mit jenen Foodtrends auseinanderzusetzen, die der DNA des Unternehmens entgegenkommen, sie bereichern und zukunftstauglich transformieren können.
Wie können wir den Herausforderungen des Klimawandels, der Volatilität der Lieferketten und dem dramatischen Biodiversitätsverlust mit unserer Ernährung, mit unserem Speisen- und Lebensmittelangebot begegnen?
Hanni Rützler: Die Planetary Health Diet gibt hierbei die Richtung vor, um die – wie ich es nenne – «kopernikanische Wende» in unserer Esskultur zu unterstützen. Das heisst, nicht mehr Fleisch und Fleischwaren werden in Zukunft als «Zentralgestirne» unserer Ernährung wahrgenommen, um die verschiedene pflanzliche Beilagen «kreisen», sondern Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte, Pilze und Obst rücken ins Zentrum. Auch neue, bei uns noch selten kultivierte Sorten, die sich dem verändernden Klima besser anpassen und zugleich die Vielfalt erhöhen. Das ist die Antwort, die auch der Foodtrend «Local Exotics» gibt. Vielfalt kann man steigern, in dem man sie ganz bewusst fördert und vermehrt anbietet.
Welche Massnahmen sind hierfür notwendig?
Hanni Rützler: Hier geht es auch um eine neu ausgerichtete Sortimentspolitik, nicht nur um neue Frische-Convenience- oder Plant-based-Produkte. Dass die Reduktion des Fleischkonsums der zentrale Schlüssel ist, ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens und auch im Bewusstsein vieler Konsumenten gelandet. In der Praxis sehen wir uns mit vielen Widerständen konfrontiert. Lang tradierte Essgewohnheiten und erlernte Geschmäcker lassen sich nicht von heute auf morgen verändern. Und eine seit Jahrzehnten auf Fleisch- und Milchproduktion sowie auf maximale Effizienz fokussierte Landwirtschaft braucht zur Umstellung auf eine vermehrte Produktion pflanzlicher Nahrungsmittel, die die Regeneration der Biodiversität ermöglicht, sowohl gezielte politische Unterstützung als auch kulinarische Inspiration durch kreative Köche und Gastronomen.
Wie sieht in diesem Kontext die Zukunft von Fleisch und von Cultured Meat aus?
Hanni Rützler: Cultured Meat ist eine Option, auch in Zukunft tierische Proteine zu leistbaren Preisen und ohne schlechtes Gewissen geniessen zu können; mit Betonung auf Zukunft. Denn, um Cultured Meat in grossen Mengen und auch zu günstigen Preisen herzustellen, sind noch zahlreiche technische und rechtliche Hürden zu nehmen. Aber sie werden genommen werden. Tilo Hühn, Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: «Wir Menschen haben Tiere und Pflanzen domestiziert und jetzt sind wir dabei, die nächsten Schritte zu gehen – und domestizieren Zellen.»
Wie kann der Lebensmittelhandel zu einem nachhaltigeren und gesünderen Konsum beitragen? Was ist hierfür notwendig?
Hanni Rützler: Es ist zu wenig, nur darauf zu warten, dass sich die Konsumenten ändern werden. Denn der Handel ist der Gatekeeper, der es auch in der Hand hat, ihnen die nachhaltigere und gesündere Wahl leichter zu machen. Das setzt jedoch ein klares Zukunftsbild des Handels voraus, eine Antwort auf die Frage, welche Zukunft er fördern will. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Category-Management, das sich in den meisten Supermärkten vom Aufbau, von der Wegführung und Regalanordnung bis hin zur Verteilung des Sortiments immer noch an anderen Kriterien orientiert und – abgesehen von grünen Werbeversprechen – auch zu wenig Bezug auf Wünsche und Werte einer wachsenden Anzahl von Kunden nimmt, die nachhaltiger einkaufen und sich gesünder ernähren wollen.
Circa elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle werden in Deutschland jedes Jahr entsorgt. Mangelt es an Wertschätzung für Lebensmittel?
Hanni Rützler: Dass der grösste Anteil an Food Waste in privaten Haushalten anfällt, darf der Lebensmittelhandel nicht als Ausrede benutzen, denn es ist auch die vom Handel forcierte «Rabattitis», die Konsumenten dazu verleitet, oft mehr zu kaufen als sie wirklich brauchen. Zeitmangel und geringes Koch-Know-how führen dann dazu, dass überschüssige Lebensmittel nicht verarbeitet, sondern weggeworfen werden.
Welche Relevanz haben Zero Waste und Circular Food vor diesem Hintergrund?
Hanni Rützler: Bei Zero Waste geht es primär um die Vermeidung von Abfällen, also um die sinnvolle Verwertung von Lebensmitteln. Das betrifft vor allem die Haushalte und die Gastronomie. Und dabei spielt das Koch-Know-how eine zentrale Rolle. Dass das ohne kulinarische Kompromisse geht, zeigen ambitionierte Zero-Waste-Restaurants wie das «Silo» in London oder das «Frea» in Berlin. Aber auch für den Handel, der ja zunehmend auf hybride Stores setzt, also auch gastronomische Angebote bietet, gibt es hier noch Potenzial, nicht verkaufte Lebensmittel zu verarbeiten. Bei Circular Food dagegen stehen vor allem die sogenannten Nebenströme bei der Lebensmittelproduktion im Zentrum, also Reststoffe wie Schalen, Kerne und Trester, die nicht mehr als Abfall, sondern als wertvolle Ressource wahrgenommen werden, die zu Futter- und Lebensmitteln oder Textilen verarbeitet werden und damit den biologischen Kreislauf wieder schliessen.