Foto:Privat
Dr. Therese Haller hat im Rahmen ihrer Anstellung an der Berner Fachhochschule, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften eine Studie für das European Milk Board erstellt. Inzwischen ist die Agrarwissenschaftlerin als unabhängige Expertin tätig. Die Studie gibt es unter www.theresehaller.ch
Frau Dr. Haller, die Deregulierung des Milchmarktes hat in der Schweiz zu einem Verfall der Milchpreise sowie zu einer Marktkonzentration auf Seiten der milchverarbeitenden Industrie geführt; viele Bauern sind aus der Milchproduktion ausgestiegen. Wird es dieses Szenario auch in Deutschland geben?
Von so starken Auswirkungen gehe ich für Deutschland nicht aus. Während des Zeitraums, den die Schweiz für den Übergang zum Ausstieg aus der Mengenregulierung vorgesehen hatte, stieg 2007/08 auf dem Weltmarkt der Preis an. Das hatte man nicht vorhersehen können. So erfolgte ein großer Teil des Mengenwachstums in einem Umfeld steigender Preise. Unter normalen Bedingungen hätte ein Preisrückgang dieses Mengenwachstum gebremst. So fielen dann die Preissenkung infolge einer Normalisierung auf dem Weltmarkt mit derjenigen aufgrund der Liberalisierung im Schweizer Milchmarkt zusammen. Also alles andere als eine sanfte Landung, wie man sie sich für den EU-Milchmarkt wünscht. Aber ich rechne auch in Deutschland mit gewissen Veränderungen.
Wem wird die Milcherzeugung und -verarbeitung in Zukunft finanziell noch Spaß machen?
Es ist wichtig, hier zwischen Wertschöpfungsketten zu unterscheiden. Wo die Milch zu vollkommen standardisierten, auf dem Weltmarkt gehandelten Produkten wie Milchpulver verarbeitet wird, sind ein großes Kostenbewusstsein und effiziente Strukturen gefragt. Dies erfordert große Betriebe mit rationell organisierten Arbeitsabläufen und spezialisierten Arbeitskräften. Der klassische Familienbetrieb, wo der Bauer mehr oder weniger alle arbeiten selbst erledigt, kann da schwer mithalten. Er braucht einen Abnehmer, der die Milch zu differenzierten Produkten verarbeitet, wo der Verbraucher bereit ist, für Qualität zu bezahlen.
Wie wird sich der Milchpreis nach Wegfall der Quote in Deutschland entwickeln? Schätzungen gehen von einem Jahresmittel zwischen 30 und 32 Cent aus.
Preisprognosen sind schwierig, hier spielen auch die Entwicklungen auf dem Weltmarkt oder der zukünftige Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar eine Rolle. Die genannten Einschätzungen zum durchschnittlichen Milchpreis halte ich für plausibel. Allerdings muss auch mit verstärkten Schwankungen gerechnet werden – in einzelnen Jahren kann er deutlich unter 30 Cent liegen. Zudem sind ja die Preisunterschiede zwischen den Molkereien beträchtlich, auch heute schon.
Wie sieht die Zukunft der deutschen Milcherzeuger aus?
Innerhalb von Deutschland bestehen zwischen den Regionen große Unterschiede in der Betriebsstruktur, aber auch in den natürlichen Gegebenheiten. Die Milcherzeuger stehen schon seit längerem unter Druck, und der Strukturwandel wird weitergehen. Aber ich denke, auch klassische Familienbetriebe haben – mit geeigneten Marktpartnern – eine Zukunft. Langfristige Partnerschaften innerhalb der Wertschöpfungskette werden daher wichtiger.
Für wie sinnvoll halten Sie das Milchpaket der Europäischen Kommission als Übergangsregelung bis 2020?
Die Verhandlungsposition der Milcherzeuger zu stärken, finde ich richtig, da die Kräfte im Markt asymmetrisch verteilt sind. Ich hätte verbindliche Vorgaben für Lieferverträge befürwortet, die den Erzeugern etwas Planbarkeit verschaffen.
Wie werden sich die Verbraucherpreise in Zukunft für Käse, Butter und Joghurt entwickeln?
Für die Preise im Inland ist von Bedeutung, ob sich der Absatz in den Exportmärkten erwartungsgemäß entwickeln wird. In Billigsegmenten, wo sich die Verbraucher nur am Preis der Produkte orientieren, sind Preissenkungen am wahrscheinlichsten. Dies betrifft die industriellen Standardprodukte. Für Sortenkäse, Vorzugsbutter oder hochwertige Joghurts rechne ich eher mit stabilen Preisen.
Deutschland ist der größte Milchproduzent in der EU und produziert rund ein Fünftel der gesamten europäischen Milch: Wie wird sich der Anteil mit Wegfall der Milchquote entwickeln?
Grundsätzlich hat Deutschland gute Chancen, diesen Marktanteil zu halten oder sogar zu steigern. Im letzten Jahr wurde ja mehr Milch geliefert als in der Milchquote festgelegt und der Milchsektor gilt im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten als gut aufgestellt. Es wird darauf ankommen, wie gut das Mengenwachstum in der Erzeugung mit den Erwartungen in der Verarbeitung übereinstimmt – Überkapazitäten wären problematisch.
Es gibt Stimmen, die sagen, dass eine Konzentration der Betriebe Auswirkungen auf die Qualität der Milch haben wird, auch in Punkto Tierhaltung gibt es kritische Stimmen? Wie sollte die Industrie, wie sollte der Handel damit umgehen?
Diese Gefahr besteht vor allem dort, wo ein starker Kostendruck herrscht, also in Wertschöpfungsketten, die industrielle Standardprodukte erzeugen. Gesetzliche Tierschutzstandards und Hygienevorschriften geben einen Rahmen vor. Viele Verbraucher haben aber Erwartungen, die deutlich über das gesetzliche Minimum hinausgehen und die auch bereit sind, dafür zu bezahlen. Es ist wichtig, dass ihnen keine ländliche Idylle vorgegaukelt wird, sondern dass die Industrie und der Handel Standards garantieren. Eine gute Zusammenarbeit über die ganze Wertschöpfungskette kann auf dem Markt einen Mehrwert erzielen, von dem alle profitieren.