Kollektiv der Dummen

Dienstag, 06. Dezember 2016
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Schwarmintelligenz greift in der Praxis viel zu selten. Der Mathematiker und ehemalige Cheftechnologe bei IBM Gunter Dueck zeigt auf, wie in Unternehmen selbst verschuldete Dummheit zum Alltag geworden ist.

Manager wollen das Beste für ihr Unternehmen. Leider scheitern sie im Alltag an sinnlosen Besprechungen, Kompromissen statt effektiver Lösungen und suboptimalen Ergebnissen. Das hat nichts mit der Leistung der Mitarbeiter zu tun und auch nichts mit fehlender Kompetenz der Manager. So eine Kernaussage von Gunter Dueck, der eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Hinblick auf optimale Unternehmensprozesse sieht. Er zeigt auf, dass in Meetings mit vielen Beteiligten nicht zwangsläufig die besten Resultate entstehen. Die sogenannte Schwarmintelligenz, nach der im Kollektiv durch das Potenzial und der Erfahrung jedes Einzelnen eine Verbesserung des Gesamtergebnisses entstehen soll, hält er gerade in Unternehmensprozessen für unrealistisch. Seinen Aussagen nach hilft viel nicht immer viel – im Schwarm, also im Kollektiv, finde statt einer Bündelung von Intelligenz eine Reduzierung des möglichen Leistungspotenzials statt.

Auslastungswahn hat Schwarmdummheit zur Folge

Ursächlich liegt das, so Dueck,  in den Strukturen der Unternehmen begründet – etwa durch Abschottung einzelner Abteilungen oder durch die erschwerte Umsetzung von Zielen durch hierarchische Strukturen. Von der Intelligenz und Kompetenz aller, der sogenannten Schwarmintelligenz, könne nur profitieren, wer eine entsprechende Unternehmenskultur aufbaut. Dies sei aber bei wachsender Unternehmensgröße und steigender Mitarbeiterzahl zunehmend schwierig. Dueck sieht vor allem im Auslastungswahn den wesentlichen Bestandteil zur Entstehung von Schwarmdummheit. Für Manager sei das Erreichen von Zielen wichtiger als ein gutes Arbeitsklima im Team. Als Resultat vieler dummer Teamentscheidungen ist das Ergebnis nur noch „gerade ok“ aber nicht mehr optimal. Ein Hauptgrund ist die Forderung vieler Manager eine Auslastung von über 85 Prozent anzustreben. Der immense Druck führt zur Vernachlässigung von Projekten, geringer Hilfsbereitschaft und wenig Teamarbeit. Als Folge davon komme es zu Kundenbeschwerden über Qualitätsmängel, schlechte Kundenbetreuung und steigende Krankmeldungen. Darauf wird mit stärkeren Kontrollen reagiert, die zu Mehrarbeit in den Abteilungen führen, woraus in der Folge Unverständnis und Wut der Mitarbeiter resultieren.

Auslastungsgrad nicht höher als 85 Prozent

Duecks Einschätzung findet sich auch im japanischen Kaizen-Ansatz, der auf den drei Prinzipien basiert: 1. Keine Verschwendung (Muda) 2. Keine Überlastung von Mitarbeitern und Maschinen (Muri) 3. Keine Unregelmäßigkeiten in den Prozessabläufen (Mura). Gunter Dueck sieht bei Deutsche Konzernen lediglich  Punkt 1 (Muda) voll erfüllt. Die beiden anderen Elemente würden überwiegend ignoriert – zum langfristigen Nachteil des Unternehmens und der Mitarbeiter. Seine Lösung: Der Auslastungsgrad des Einzelnen darf nicht höher als 85 Prozent sein.

Schwarmintelligenz lebt von der Einsicht in das Ganze und von Rotation. Jeder Mitarbeiter muss über seinen Tellerrand hinausschauen und andere Unternehmensteile begreifen – sie lebt von Durchlässigkeit in den Strukturen. Schwarmdummheit hingegen entsteht durch Unkenntnis und die Fokussierung auf Einzelinteressen einer spezifischen Abteilung oder eines Bereichs. In der Praxis werden positive Prozesse oft schon dadurch blockiert, weil die Gesamtvision nicht realistisch, nicht verstanden und nicht mitgetragen wird.

Utopische Ziel fördern Demotivation

Dueck legt den Finger in die Wunde und stellt fest, dass der Mensch viel zu oft nur das System bedient und warnt letztlich vor dessen Zusammenbruch durch Mitarbeiter, die zwar intelligent sind, aber zu sehr in einem sinnlosen Besprechungswahnsinn und "Abteilungsgehacke" feststecken. Das System, in dem sie gefangen sind, zwingt sie, sich wie  „SABTA“-Typen (sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit) zu verhalten. Hektische Betriebsamkeit ohne fundierte Kenntnis der Materie kann sich auf Dauer kein Unternehmen leisten. Diese führen zu immer weiteren Zuständigkeitsbereichen, die immer weitere Absprachen nötig machen und letztlich finden nur noch Meetings statt, die zu einer mentalen und produktiven Abwärtsspirale führen. Die kollektive Schwarmdummheit setzt ein.

Duecks These ist, dass in Unternehmen von intelligenten Menschen sinnlos Zeit in endlosen Besprechungen verschwendet wird und viele Mitarbeiter deshalb von den Thematiken Zusammenarbeit, Abstimmung, Teamarbeit genervt sind. Ursächlich verantwortlich dafür sind utopische Ziele, die unbedingt eingehalten werden müssen. Ein weiteres Beispiel für das Entstehen von Schwarmdummheit ist für Dueck der Dunning-Kruger-Effekt. Dieser belegt, dass weniger kompetente Leute zu mehr Selbstüberschätzung neigen als Kompetente.

Ständige Kontrolle macht Team ineffektiv

Das Schwierige an der Schwarmintelligenz ist, die Wankelmütigkeit bei der eigenen Meinungsbildung. Sobald Menschen erfahren, dass andere über ein Problem anders denken als sie selbst, ändern sie ihre eigene Meinung oder schwächen diese ab. Gunter Dueck hat beobachtet, dass Zeitdruck dazu führt, dass kluge Menschen dumme Entscheidungen treffen – vor allem wenn sie in einem Team oder einer Gruppe zu einem Ergebnis kommen müssen. Teams werden ineffektiv und somit letztendlich überflüssig, wenn sie Faktoren wie Aktionismus, Abteilungsrivalitäten, Zukunftsangst und ständiger Kontrolle ausgesetzt sind.

Dass es Schwarmintelligenz gibt, wird von Dueck nicht angezweifelt, sie funktioniert für ihn jedoch nicht in großen Unternehmen oder Konzernen. Er will eine Diskussion anregen und legt den Unternehmen nahe, Schwarmintelligenz nicht als Allheilmittel für jeden Prozess zu betrachten und sich auch der parallel damit einhergehenden Schattenseiten bewusst zu werden.

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Interview

Arbeitsweltexperte Gunter Dueck erklärt, was es mit Schwarmdummheit auf sich hat und was sich bei Führungskräften und Mitarbeitern künftig ändern muss.

Welche Mitarbeiter brauchen wir heute und was erwarten Sie von Führungskräften?
Mitarbeiter müssen mehr können als etwas am Computer abarbeiten, wenn sie einen guten Job haben wollen. Dieses Mehrkönnen rankt meist um Überzeugen, Präsentieren, Problemlösen, Verkaufen, Projektleiten, Umsetzen, Führen oder Coachen. Wenn man genau hinschaut, ist es eigentlich das, was man früher allerhöchstens von Führungskräften erwartete. Wenn Mitarbeiter aber selbst so hoch qualifiziert sind, stellt sich die Frage nach dem Sinn von Führungskräften. Die sollen dann eben nicht mehr Aufpasser und Antreiber sein, sondern Coachen und Vorbild sein. Das wird schon immer gesagt, aber jetzt wird es langsam ernst. 

Wie werden Ihrer Meinung nach Mitarbeiter am besten motiviert?
Fragen Sie sie! Sie sagen alle: Erfüllung bei der Arbeit und menschenzugewandter Respekt vom Chef, der sie in ihren Problemen auch ein bisschen als privater Mensch wahrnimmt. 

Wie können Unternehmen das Potential ihrer Mitarbeiter optimal nutzen?
Gut wäre es, die Mitarbeiter möglichst so einzusetzen, dass sie sich wohlfühlen und weiterlernen und -kommen können. Bei einer Bank zum Beispiel ist oft ein Miarbeiter für A-H und der andere von I-Z zuständig. Oft aber kann einer der beiden gut Vermögensberatung und der andere versteht sich auf Versicherungen. Warum teilen sie sich die Arbeit nicht so auf? Wir wissen es: Weil die Gehaltsabrechnung und das Management leichter werden. Also gilt: System vor optimaler Potentialausschöpfung. 

Warum stecken sich Unternehmen oft unrealistische Ziele?
Das Top-Management krümmt sich unter ambitionierten Erwartungen der Eigner und versucht am sehr oft  (das ist dumm!), die Ziele der Mitarbeiter noch höher zu setzen, damit die eigentlichen Ziele noch sicherer erreicht werden. Viele Chefs misstrauen den Mitarbeitern und setzen die Ziele auf jeden Fall so hoch, dass die Mitarbeiter schimpfen. Würden sie nicht schimpfen, würde der misstrauische Chef denken, sie hätten ihn über den Tisch gezogen. Misstrauen demotiviert aber ungeheuer. 

Sind „Zeit für den Kunden“ und „Innovationsfähigkeit“ nur noch leere Worthülsen?
Sehr oft. Ja. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Ärzte kaum Geld für die Zeit von Gesprächen bekommen, Rechtsanwälte auch nicht, auch bei Banken sieht der Zweigstellenleiter längere Small-Talks zwiespältig. Alle diese behaupten, die Zeit für den Kunden sei wichtig (stimmt!), aber sie nehmen sie sich nicht (das ist dumm). Es liegt an den Boni und Abrechnungen. Wenn Ärzte uns zum Beispiel viel gesünder machen würden, dann  sind sie pleite, denn sie werden nur für Behandlungen von Kranken bezahlt. Sie leben besser, wenn wir alle krank sind... Genauso verhält es sich mit Innovation: Alle wollen sie, aber niemand hat Zeit dafür - von Mut und Geld einmal zu schweigen. Sie tun nicht, was sie richtig finden. Kann das gut gehen? Wer ist denn motiviert, wenn er auf Dauer tun muss, was er nicht richtig findet? Haben nicht mindestens die Ärzte geschworen, dass sie tun, was richtig ist? Sagen das nicht auch die Werte der Unternehmen? Soll all das Blabla sein?