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Heute gilt der Leitsatz: je komplexer und professioneller, desto besser. Eine Tatsache, mit der viele Experten wenig glücklich sind. Denn: Bei den Verbrauchern kommen eher einfache, verständliche Konzepte an.
Es könnte so einfach sein, ist es aber nicht: Wir leben in einer Welt, die sich zunehmend durch Komplexität auszeichnet – und zwar in allen Bereichen. „Unser Leben ist professionalisiert und anstrengend geworden“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ullrich von der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Auch der Konsum werde inzwischen von vielen Verbrauchern als Stressfaktor gesehen. Studien zufolge ist beispielsweise die Anzahl der Artikel in deutschen Warenhäusern in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent gestiegen. Das heißt: 500 statt 400 Kaffee-, Tee- und Kakaopackungen, 750 statt 580 Hygiene- und Babyartikel und 3.400 statt 2.600 Beauty-Produkte.
Mut zum Verzicht üben
„Am Point of Sale sind viele Menschen heutzutage gnadenlos überfordert“, so Ullrich. Das gilt sowohl für den Kauf von komplizierten Artikeln wie etwa einem neuen Smartphone als auch für den Kauf von simplen Produkten wie Vanillejoghurt. „Ich habe bei einem deutschen Vollsortimenter um die 160 Sorten Joghurt gezählt“, sagt Dieter Brandes, ehemaliger Aldi-Manager und Gründer des Instituts für Einfachheit. „Das ist Consumer Confusion par excellence.“ Dabei geht er sogar noch einen Schritt weiter: „Der stationäre Handel ist nicht nur zu komplex für den Verbraucher, sondern auch zu komplex für das Management“, sagt er. Zu oft lasse der Handel sich inzwischen wichtige Entscheidungen zu den Sortimenten aus der Hand nehmen und von den Lieferanten treffen, da diese etwa bestimmte Einkaufsrabatte bieten, oder es werde blind nach Datenanalysen entschieden. „Ich rate Händlern, mehr Mut aufzubringen, sich auf ein klares Geschäftsmodell zu konzentrieren und auch Verzicht zu üben, etwa in den Sortimenten“, sagt Brandes.
Weniger ist oft mehr
Händler könnten etwa mit ihrem Namen für ein bestimmtes Geschäftsmodell stehen und dem Kunden damit deutlich zeigen, was ihn erwartet: eine besondere Konzentration und Vielfalt in bestimmten Produktgruppen, eine kompetente, eher beschränkte und auf Qualitäten ausgerichtete Auswahl in anderen Sortimenten. Man „muss nicht allen alles“ bieten, so Brandes. Dass er mit seiner Meinung nicht alleine steht, hat auch der diesjährige Neuromarketing Kongress unter dem Thema „The Magic of Simplicity – Kundenbegeisterung statt Consumer Confusion“ gezeigt. Fazit des Kongresses: Weniger ist mehr, sei es im Marketing, am POS oder in Onlineshops. Einer der Referenten: Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff, CEO von MindChainge. „Wer fünf Hasen jagt, wird keinen fangen“, sagt er. „Komplizierte Dinge kommen beim Kunden einfach nicht an.“ Seine Empfehlung: Händler sollten das Ladenkonzept um die grundlegenden Bedürfnisse des Kunden beim Shoppen herum aufbauen, nicht anders herum. Und: „Niemand möchte immer wieder aufs Neue raten, wohin man denn jetzt wieder den Schwarztee verbannt hat“, so Schroiff. Klare räumliche Strukturen, die den impliziten Erwartungshaltungen folgen, redundante Orientierungshilfen oder themenzentrierte Angebotskonstellationen könnten Abhilfe schaffen und seien außerdem auch noch rasch und kostengünstig realisierbar. Ähnliches gelte auch für die Einführung neuer Produkte: „Ich finde es immer wieder erschütternd, wie Unternehmen ihre Produkte positionieren“, so Schroiff. Ein Beispiel sei Aspirin: „Da wirbt Bayer für seine ‚Aspirin direkt‘ mit dem Slogan ‚Einfach. Schnell. Wirksam‘. Versucht man jedoch, das Produkt zu öffnen, geht das weder einfach noch schnell, es geht eigentlich gar nicht.“ Sein Appell: Konsumenten sind keine passiven Rezipienten dessen, was sich Unternehmen einfallen lassen. Die Zauberformel für neue Produkte heiße „einfacher, bedürfnisgerecht, konsumentenorientiert“. Dann klappe es auch mit der Einführung am Markt.
Im Sinne der Kunden
„Jedes Jahr werden 3,6 Milliarden Euro Umsatz verschenkt, weil Unternehmen es dem Kunden zu schwer machen“, sagt auch Dr. Michael Hartschen, Experte für Einfachheit und Geschäftsführer bei Brain Connection. Bei Dienstleistungen, Produkten, Geschäftsmodellen und Prozessen komme es vor allem darauf an, dass diese nicht nur von Experten, sondern auch vom Konsumenten verstanden werden. „Der Experte kennt seine Werkzeuge und Vorgaben aus der täglichen Arbeit. Der Kunde wird hingegen nur alle paar Monate oder sogar Jahre damit konfrontiert.“ Sein Beispiel: der Kauf eines Fernsehers. Während sich Verkäufer und Hersteller täglich mit dem Produkt auseinandersetzen, ist der Kauf eines Fernsehers für viele Kunden nur alle paar Jahre ein Thema. Gemeinsam mit Chris Brügger und Jiri Scherer hat Hartschen daher fünf Prinzipien zur Vereinfachung inklusive der entsprechenden Strategien entwickelt (siehe Buchtipp). „Einfachheit heißt nicht, nur Dinge wegzunehmen. Auch etwas hinzuzufügen kann zu mehr Einfachheit führen“, so die Autoren. Außerdem gilt es, nie außer Acht zu lassen, für wen etwas vereinfacht werden soll. Die Erfolgsformel lautet: weg von sich selbst, hin zum Kunden.