Der Weg ist das Ziel

Dienstag, 25. April 2023
Foto: Nina Stiller Photography

Es gibt viele Aspekte, die gutes Essen ausmachen. Für Nelson Müller beginnt dies bereits beim Einkauf. Dabei treiben ihn Themen wie Regionalität, Saisonalität, Nachhaltigkeit und Lebensmittelqualität um. Gesundes Essen und eine nachhaltige Ernährung ist dem TV- und Sternekoch eine Herzensangelegenheit. Seine Botschaft: Wir alle können beim Kochen nachhaltig handeln. Verantwortung und Spass schliessen sich dabei nicht aus.

Herr Müller, was ist für Sie gutes Essen?
Nelson Müller: Gutes Essen bedeutet für mich Zutaten, die natürlich in bester Weise verarbeitet werden. Gute Qualität heisst aber nicht nur, dass sie gut schmecken sollen. Eine gute Produktqualität schliesst auch Themen wie Umweltschutz, Klimawandel, faire Preise für die Erzeuger und Tierwohl ein. All diese Dinge gehören für mich und auch in meinem aktuellen Kochbuch zu einem guten Essen dazu.

Gutes Essen beginnt also beim Einkauf. Was sollte daher im Einkaufskorb landen und was nicht?
Nelson Müller:
Es gibt praktische Dinge, an denen man sich orientieren kann wie Saisonalität und Regionalität. Ich kaufe Lebensmittel, die gerade Saison haben. Fisch, der auf roten Listen steht, ist für mich tabu. Hier achte ich darauf, ob er aus der Aqua-Kultur kommt oder aus Wildfang. Bei der Aqua-Kultur gibt es Siegel wie MSC oder HSC, nach denen ich gehen kann und ein Mindestmass an Qualität bedeuten. Beim Thema Tierwohl sind es die Haltungsformen, die mich interessieren oder darüber hinaus Bio. Das sind Themen, die man beim Einkaufen bedenken kann und auch sollte.

Können Siegel dem Verbraucher eine Orientierung geben?
Nelson Müller:
Ja, auf jeden Fall. Bei Fleisch gibt es die Haltungsformen, die eine Orientierung beim Einkauf geben. Bei der Haltungsform 1 ist gerade mal der Mindeststandard in der Tierhaltung gegeben, während bei der Haltungsform 4 Freilandhaltung vorgeschrieben ist. Gerade die Haltungsformen und die Beschreibungen geben Rückschluss darauf, woher das Produkt kommt. Natürlich kann man auch zu seinem Metzger gehen, der mehr Auskunft darüber geben kann, als wenn ich das Fleisch nur abgepackt in irgendwelchen Theken kaufe.

Auch Bio-Qualität lässt sich am Siegel erkennen. Ist Bio gleich Bio?
Nelson Müller:
Tatsächlich ist Bio kein einfaches Siegel, was man ja auch durchschauen muss. Es gibt auch Bio-Honig, der aus nicht EU-Ländern stammt. Damit ist der Gedanke von Bio vielleicht infrage gestellt, wenn wir Faktoren wie CO2-Bilanz und Klimaschutz hinzuziehen. Letztlich ist der Begriff Bio gesetzlich geregelt und jeder muss seine eigenen Prioritäten setzen. Für mich ist im Tierwohlbereich Bio nicht immer die bessere Wahl, weil hier das Thema Freilandhaltung nicht so klar definiert und geregelt ist.

Markt oder Supermarkt – wie lautet Ihre Wahl?
Nelson Müller:
Für mich ist es spannend, direkt beim Produzenten einzukaufen. Man sieht ganz genau, wo die Produkte herkommen und wie dort die Bedingungen sind, wie die Tiere aufwachsen. Es bietet mir die Möglichkeit, saisonal und regional einzukaufen. Und der Produzent wird fair bezahlt, hier gibt es keine Zwischen- oder Grosshändler. Sicherlich, im Alltag ist das für den Einzelnen sehr zeitintensiv. Aber ich sage mal, der Weg ist das Ziel.

In Ihrem aktuellen Kochbuch geht es auch um Nachhaltigkeit. Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?
Nelson Müller:
Wir alle können beim Kochen nachhaltig handeln. Und für mich bedeutet Nachhaltigkeit in der Küche, vor allen Dingen regionale und saisonale Zutaten zu verwenden und diese auch komplett zu verarbeiten, achtsam mit der Ressource Fleisch und Fisch umzugehen, eine faire Bezahlung der Erzeuger und möglichst wenig Verpackungsmüll zu verursachen.

Und global betrachtet?
Nelson Müller:
Ich glaube, dass das ein Zusammenspiel ist aus unserem gesellschaftlichen Verhalten, Politik und Klimaschutz. Da gibt es viele kleine Wege, die dahinführen und wo jeder bei sich selbst anfangen kann – und wenn es nur die Müllvermeidung oder das Wegwerfen von Lebensmitteln ist. Dass so viele Lebensmittel weggeworfen werden, das ist schon paradox. Der grösste Anteil davon wird wahrscheinlich von den Supermärkten vernichtet oder bei der Produktion, weil das Produkt nicht der Norm entspricht. Aber auch hier hat der Verbraucher die Möglichkeit und die Macht zu handeln. Er kann die Karotte kaufen, die zwar dreimal gebogen ist, aber dennoch gut schmeckt und daher nicht weggeworfen werden muss.   

Wie beurteilen Sie den heutigen Fleischkonsum?
Nelson Müller:
Zum einen essen wir im Schnitt zu viel Fleisch. Zum anderen wird Fleisch definitiv zu billig angeboten beziehungsweise ist nach wie vor ein Produkt mit dem Kunden in den Supermarkt oder Discounter gelockt werden. Das kann meiner Meinung nach nicht sein, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Produktion von Fleisch ein grosser Treiber des Klimawandels ist. Von daher ist vegetarische oder vegane Küche ein Thema, in das wir uns alle reinarbeiten sollten. Insgesamt sollten wir die pflanzliche Ernährung weiter vorantreiben.

Was braucht es dazu?
Nelson Müller:
Wir brauchen, was unser gesellschaftliches Essverhalten betrifft, neue Orientierungen und neue Ansätze. Früher war Fleisch ein Luxusgut, heute ist es ein Alltagsprodukt. Davon muss es wieder eine Abkehr geben und es wird ja auch teilweise schon gemacht, teilweise durch die Politik wie in Baden-Württemberg. Hier ist geplant, vegane Ernährung in den Kitas und in Schulen noch stärker zu etablieren. Natürlich ist das ein sensibles Thema, weil es ja auch etwas mit Selbstbestimmung zu tun hat. Aber ja, man merkt, dass es an allen Ecken und Enden ein Thema ist und ja, die Köche können da Vorreiter sein.

Bedeutet nachhaltig zu kochen, den Verzicht auf Fleisch und auch Fisch?
Nelson Müller:
Es gibt verschiedene Wege, die zum Ziel führen. Einer davon ist sicherlich die vegane und vegetarische Ernährung, um unseren Fleischkonsum zu reduzieren. Dieser ist ja nicht nur für die Umwelt eine Belastung, sondern eben auch für uns Menschen. In der Intensität wie wir Fleisch konsumieren, ist es eine gesundheitliche Belastung für den Organismus. Aber das ist nur ein Grund, warum die vegetarische und vegane Ernährung auf dem Vormarsch ist.

Inflation, steigende Energiepreise und steigende Lebensmittelpreise, da bleibt immer weniger im Geldbeutel. Wie soll dann Nachhaltigkeit beim Einkaufen funktionieren?
Nelson Müller:
Ich bekomme immer Stirnrunzeln, wenn ich diese Frage gestellt bekomme. Wir haben nie viel Geld für Lebensmittel ausgegeben, für das, was in unseren Körper reinkommt, was uns gesund macht, was uns zu dem macht, was wir sind, was uns leistungsfähig macht. Es ist vielleicht auch mal an der Zeit, da ein bisschen mehr Geld zu investieren und einfach den Fokus anders zu setzen.

Was raten Sie?
Nelson Müller:
Umso mehr ist es ratsam, ganzheitlich zu denken, geschickt einzukaufen und möglichst wenig wegzuschmeissen. Ich glaube, da sind die meisten sicherlich noch nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Wenn ich mir ein ganzes Huhn kaufe, kann ich ja fast eine ganze Woche davon leben. An einem Tag gibt es eine Hühnersuppe, am anderen Tag ein Frikassee, am darauffolgenden Tag Chicken-Wings. Es gibt so viele Möglichkeiten, schonend auch ressourcenschonend, was den Geldbeutel anbetrifft einzukaufen, und auch zu kochen.

Glauben Sie, dass die Verbraucher verlernt haben, wie man kocht oder nicht wissen, welche Gerichte sich aus einem ganzen Huhn zubereiten lassen?  
Nelson Müller:
Ich glaube schon, dass in den vergangenen Jahren die Verbraucher sich mit dieser Art und Weise Lebensmittel zu verarbeiten, nicht auseinandergesetzt haben. Der Grund hierfür liegt darin, dass eben auch die Lebensmittel immer günstig waren – und auch eigentlich sind. Aber es gibt nach wie vor auch Familien, die kochen. Doch um kochen zu können, muss man das schon mal gezeigt bekommen haben, es von den Eltern gelernt bekommen haben oder einfach auch nur sich mehr damit beschäftigen. Wir sind aber schon auf einem guten Weg dahin.

Was kann der Einzelne Ihrer Meinung nach tun, um nachhaltig zu handeln?
Nelson Müller:
Wir alle verbrauchen wesentlich mehr Ressourcen, als die Erde hergibt. Dabei ist unsere Ernährung ein wichtiger Faktor in diesem bösen Spiel. Wenn aber wir alle, ein Teil des Problems sind, dann kann auch jeder von uns Teil der Lösung sein. Ressourcen können wir schonen, in dem wir selber kochen, regional und saisonal einkaufen, Lebensmittelreste vermeiden oder verarbeiten, weniger Fleisch essen und Fisch bewusst geniessen. Das sind fünf Ideen, die mit gutem Essen zu tun haben und ein nachhaltiges Handeln in der Küche unterstützen.  

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

Foto: Ben Pakalski

Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

stock.adobe.com/Seventyfour

Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

stock.adobe.com/Racle Fotodesign

In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Ressourcen schonen:
5 Ideen von Nelson Müller

  • Selber kochen: Indem du weniger industriell verarbeitete Lebensmittel verwendest und auf Fast Food verzichtest, kannst du jeden Menge Energie und Wasser einspare, die sonst für die Produktion nötig wären.
  • Regional und saisonal: Wenn du beim Direktvermarkter oder im Hofladen einkaufst, vermeidest du lange Transportwege für deine Lebensmittel.
  • Reste vermeiden oder verarbeiten: Eine gute Planung und eine kluge Verarbeitung helfen, die Verschwendung zu vermeiden. Was dann noch übrig bleibt, kann immer noch kompostiert werden.
  • Weniger Fleisch essen: Weniger Fleisch muss nicht weniger Genuss bedeuten.
  • Fisch bewusst geniessen: Verwende in deiner Küche, wenn möglich nur noch Fischsorten, die nicht gefährdet sind oder wenigstens aus nachhaltiger Fischerei bzw. Zucht stammen.

Quelle: Passage aus dem Kochbuch «Gutes Essen», Nelson Müller, 10/2022

Steckbrief

Nelson Müller
Der heutige Sternekoch absolvierte in den Restaurants «Fissler-Post» in Stuttgart-Plieningen und «Veneto» auf Sylt seine Ausbildung und arbeitete im Anschluss in dem Sterne-Restaurant «Résidence» in Essen. Sein persönlicher Traum war schon immer ein eigenes Restaurant zu besitzen. Verwirklichen konnte er diesen im September 2009 mit der Eröffnung des Restaurants «Schote» in Essen. Bereits zwei Jahre später wurde es mit einem Stern vom Guide Michelin ausgezeichnet. Ausserdem ist Nelson Müller seit 2014 Inhaber des Bistros «Müllers auf der Rü», welche Spezialitäten aus dem Ruhrgebiet verkauft und gibt in der Kochschule «Food & Flavour»- Kurse.

Neben insgesamt fünf Buchveröffentlichung hat der 43-Jährige auch regelmässig TV-Auftritt. Er hat in zahlreichen TV-Shows mitgewirkt wie «Die Küchenschlacht», «Nelsons Müllers Landpartie» oder «Master Chef». Künftig wird der beliebte TV-Koch nun in der Kochshow «The Taste» als Juror und Coach zugegen sein. Der Chef des Essener Edel-Restaurants «Schote» wird neben Alexander Herrmann (51), Alexander Kumptner (39) und Tim Raue (48) die Kreationen der Kandidaten in der kommenden elften Staffel bewerten. Das Besondere an «The Taste»: Die Teilnehmer präsentieren ihre Schöpfungen auf nur einem Löffel.