Im Kampf gegen Lebensmittel-verschwendung arbeiten Händler und Hersteller im Projekt «REIF» gemeinsam an neuen Lösungen. Ein wichtiger Schlüssel ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Deutschland hat sich dem Ziel der Vereinten Nationen verpflichtet, die Lebensmittelverschwendung bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Rund elf Millionen Tonnen produzierter Lebensmittel landen hierzulande nicht auf dem Teller, sondern gehen entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Acker bis zur Küche verloren. Dies ergab eine Studie des Thünen-Instituts von 2019, bis heute die umfassendste Datenbasis zu diesem Komplex. Rund 52 Prozent der Verluste verursachen Privathaushalte, etwa 30 Prozent entstehen in der Produktion und Verarbeitung. Die restlichen 18 Prozent fallen im Gross- und Einzelhandel sowie in der Ausser-Haus-Verpflegung an. Um neue und langfristig wirksame Lösungen zu entwickeln, haben sich 31 Partner aus Industrie und Handel, Forschung, Verbänden und NGOs im Projekt «REIF» zusammengeschlossen, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wird. REIF steht für «Resource-Efficient, Economic and Intelligent Foodchain» und soll insbesondere das Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) erschliessen.
Reichlich Nährstoff für KI
In einem Whitepaper haben die REIF-Projektpartner ihre – vorläufigen – Erkenntnisse zusammengefasst. Eine Kernaussage lautet, dass es keine einfachen Lösungen geben kann, da Lebensmittelverarbeitung und -bereitstellung hochkomplexe Systeme mit vielen unterschiedlichen Akteuren bilden. «Die strengen Anforderungen an die Produktsicherheit, die geringe Planbarkeit in der Landwirtschaft und unzählige produktspezifische Randbedingungen verhindern einfache Lösungen», so das Whitepaper. Warum aber gerade KI ein Gamechanger sein kann, erläutern die Autoren anhand der vom Gesetzgeber geforderten lückenlosen Rückverfolgbarkeit durch alle Wertschöpfungsstufen. Diese sei deshalb nicht immer gewährleistet, weil die Lebensmittelindustrie mit konventionellen Methoden oftmals den Überblick über die weit verzweigten Lieferketten verlieren würde. «Dadurch sehen sich Akteure immer wieder gezwungen, Lebensmittel zu vernichten, die eigentlich noch essbar wären», konstatiert das Whitepaper – findet aber auch einen Ausweg aus diesem Dilemma: «Auf Grund der strengen gesetzlichen Regelungen werden in der Lebensmittelindustrie jedoch überdurchschnittlich viele Daten generiert, die den Nährstoff eines jeden Ansatzes von künstlicher Intelligenz bilden.»
Weniger Ausschuss in der Produktion
Die Ursachen vermeidbarer Abfälle sind vielfältig. Sie reichen von Überproduktion über Schwankungen der Rohstoffqualität bis hin zu optischen Anforderungen, die die Lebensmittel nicht erfüllen. Die REIF-Projektpartner fokussieren sich auf Molkereiprodukte, Fleisch- und Backwaren, die für Verluste besonders anfällig sind, weil sie leicht verderblich sind. «Um die Verluste in diesen Bereichen deutlich zu senken, sind vor allem zwei Aspekte entscheidend – die Minimierung von Überproduktion und die Vermeidung von Ausschuss», sagt Patrick Zimmermann, Wissenschaftler am Fraunhofer IGCV, das bei REIF mitarbeitet. «Auch Käse, Brötchen, Fleisch und Co. lassen sich mit datenbasierten Algorithmen effizienter herstellen. Absatz- und Produktionsplanung, Prozess- und Anlagensteuerung können mit Methoden des Maschinellen Lernens optimiert werden.»
Dynamische Preissysteme im LEH
Nach einer im Jahr 2020 gestarteten Phase mit Test-Projekten in den Unternehmen ist REIF inzwischen als digitaler KI-Marktplatz mit innovativen Services gegen die Lebensmittelverschwendung zugänglich. Die neue Online-Plattform verfolgt konkret zwei Ansätze, für die KI-basierende Services entwickelt und getestet wurden. Zum einen können Unternehmen damit Massnahmen auf einzelnen Wertschöpfungsstufen umsetzen. Das kann beim Hersteller eine optimierte Maschinensteuerung sein und beim Händler ein dynamisches Preissystem. Zum anderen erleichtern und optimieren die neuen Services die Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren, etwa mit dem effizienten Austausch von Prognosen und Analysen. Wie sich in der praktischen Arbeit mit REIF herausgestellt hat, können damit zum Beispiel die Lieferzeitpunkte der Landwirte mit der Produktionsplanung des Schlachthofs besser synchronisiert werden.
Mehr Wertschöpfung im Netzwerk
Langfristig wollen die Projektpartner von REIF ein umfassendes IT-Ökosystem etablieren. Unternehmen sollen hier in Zukunft unter anderem ihre implementierten KI-Algorithmen allen Beteiligten zur Verfügung stellen können. Ein weiteres Ziel ist es, die Daten aller im Projekt involvierten Firmen zu vernetzen, um so die Wertschöpfung im komplexen Netzwerk der Lebensmittelindustrie zu steigern. «Das Know-how einer Firma kann auf andere übertragen werden», lautet die Devise. «Je mehr Daten ein- und zurück- fliessen, desto besser wird das KI-Modell trainiert.»