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Die Zukunft gehört nicht dem preisgetriebenen Lebensmittelhandel, diese These vertritt Handelsexperte Professor Joachim Zentes. Stattdessen lege der deutsche Verbraucher verstärkt Wert auf Qualität.
Die Deutschen sind europaweit bekannt für ihre Schnäppchenmentalität – besonders was den Lebensmitteleinkauf betrifft. „Der Preis hat in den vergangenen zehn Jahren beim Kauf von Lebensmitteln eine zentrale Rolle gespielt“, sagt Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Zentes, Direktor des Instituts für Handel & Internationales Marketing an der Universität des Saarlandes. Seine These: Derzeit finde eine sichtbare Veränderung des Verbraucherverhaltens statt, die für den stationären Lebensmittelhandel jede Menge Chancen biete. „Wenn der Handel es klug anstellt, könnten schon in 2020 Themen wie Qualitätsbewusstsein oder Serviceorientierung das Spitzenthema ‚Billig-Preise‘ schlagen.“ Dazu hat Zentes Faktoren erarbeitet, die für die künftige Entwicklung des Lebensmittelhandels ausschlaggebend sein könnten.
Faktor 1: Convenience & Service
„Die zunehmende Beliebtheit von City- und Expressformaten zeigt, dass die Citylagen wieder da sind“, so Zentes. Das erleichtere nicht nur Berufstätigen den Einkauf, sondern auch älteren Menschen. „Aufgrund der demographischen Entwicklungen sehe ich in kleineren, innerstädtischen Formaten großes Zukunftspotenzial“,
erläutert der Handelsexperte. Dem wachsenden Service-Gedanken würden aber auch Drive-in-Konzepte entsprechen. Im Gegensatz zu Online-Lieferdiensten dürften diese sich nicht nur für den Kunden, sondern auch für den Handel rechnen.
Faktor 2: Gesundheit, Verantwortung, Qualität, Regionalität & Authentizität.
Immer mehr Verbraucher machen sich Gedanken darüber, wie und womit sie sich ernähren wollen. „Die Tage der ‚Allesfresser‘ sind gezählt, die Anzahl an Teilzeit-Vegetariern, Vegetariern und Veganern wird hingegen enorm zunehmen“, so Zentes. Gleiches gelte für die sogenannten „Locavoren“, also Menschen, die sich ausschließlich mit Produkten aus ihrer Region ernähren wollen, oder für Tierliebhaber, die bevorzugt zu Tierwohlprodukten greifen. Über entsprechende Nischen-Sortimente könne der Lebensmittelhandel sich künftig verstärkt profilieren. Entsprechend positionieren könnten sich Märkte dabei aber nicht nur über die Sortimente, sondern auch über die Optik. „Das Ausland macht es vor: Hier gibt es bereits viele Märkte, die Abteilungen mit Wochenmarktatmosphäre führen, in denen beispielsweise nur regionale Produkte angeboten werden“, argumentiert Zentes.
Faktor 3: Genuss & Erlebnis.
„Die Verknüpfung von Handel und Gastronomie birgt für Lebensmittelhändler große Chancen“, erklärt Zentes. So böte sich beispielsweise eine Sushibar an der Fisch-theke oder ein Steakrestaurant an der Fleischtheke an. „Solche Verknüpfung erhöhen den Erlebnisfaktor und gleichzeitig die Verweildauer im Markt“, so Zentes. Der Vorteil für die Konsumenten: Sie können essen gehen und Lebensmitteleinkauf sinnvoll miteinander verbinden.
Faktor 4: Lernen & Wissen.
„Die Verbraucher wollen heute immer mehr über Lebensmittel wissen“, erläutert Zentes. Das gelte längst nicht mehr nur für die Herkunft der Produkte. Instrumente zur Rückverfolgbarkeit eignen sich laut Zentes als gute Basis. „Kochkurse zur Verwendung von Lebensmitteln, Weinabende oder informative Seminare bieten Lebensmittelhändlern zusätzliche Chancen, den steigenden Ansprüchen der Verbraucher gerecht zu werden“, sagt Zentes.
Viele der aufgezeigten Faktoren seien im Ausland längst umgesetzt, bemängelt der Handelsexperte. Das gelte besonders für das Thema E-Commerce. „Während die britische Kette Tesco bereits einen dreistelligen Millionenumsatz erwirtschaftet, stecken entsprechende Konzepte bei uns erst in den Kinderschuhen“, sagt er. Besonders fatal sei die Entwicklung für Lebensmittelhändler mit hohen Nonfood-Anteilen: „Ich rate Großflächenbetreibern, frühzeitig in das Thema E-Commerce zu investieren“, so Zentes. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass das wachsende Online-Geschäft mit Nonfood weiter von Unternehmen wie Amazon dominiert werde.