Lebensmittelhandel 2020

Donnerstag, 04. Juli 2013
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Die Zukunft gehört nicht dem preisgetriebenen Lebensmittelhandel, diese These vertritt Handelsexperte Professor Joachim Zentes. Stattdessen lege der deutsche Verbraucher verstärkt Wert auf Qualität.

Die Deutschen sind europaweit bekannt für ihre Schnäppchenmentalität – besonders was den Lebensmitteleinkauf betrifft. „Der Preis hat in den vergangenen zehn Jahren beim Kauf von Lebensmitteln eine zentrale Rolle gespielt“, sagt Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Zentes, Direktor des Instituts für Handel & Internationales Marketing an der Universität des Saarlandes. Seine These: Derzeit finde eine sichtbare Veränderung des Verbraucherverhaltens statt, die für den stationären Lebensmittelhandel jede Menge Chancen biete. „Wenn der Handel es klug anstellt, könnten schon in 2020 Themen wie Qualitätsbewusstsein oder Serviceorientierung das Spitzenthema ‚Billig-Preise‘ schlagen.“ Dazu hat Zentes Faktoren erarbeitet, die für die künftige Entwicklung des Lebensmittelhandels ausschlaggebend sein könnten.

Faktor 1: Convenience & Service

„Die zunehmende Beliebtheit von City- und Expressformaten zeigt, dass die Citylagen wieder da sind“, so Zentes. Das erleichtere nicht nur Berufstätigen den Einkauf, sondern auch älteren Menschen. „Aufgrund der demographischen Entwicklungen sehe ich in kleineren, innerstädtischen Formaten großes Zukunftspotenzial“,
erläutert der Handelsexperte. Dem wachsenden Service-Gedanken würden aber auch Drive-in-Konzepte entsprechen. Im Gegensatz zu Online-Lieferdiensten dürften diese sich nicht nur für den Kunden, sondern auch für den Handel rechnen.

Faktor 2: Gesundheit, Verantwortung, Qualität, Regionalität & Authentizität.

Immer mehr Verbraucher machen sich Gedanken darüber, wie und womit sie sich ernähren wollen. „Die Tage der ‚Allesfresser‘ sind gezählt, die Anzahl an Teilzeit-Vegetariern, Vegetariern und Veganern wird hingegen enorm zunehmen“, so Zentes. Gleiches gelte für die sogenannten „Locavoren“, also Menschen, die sich ausschließlich mit Produkten aus ihrer Region ernähren wollen, oder für Tierliebhaber, die bevorzugt zu Tierwohlprodukten greifen. Über entsprechende Nischen-Sortimente könne der Lebensmittelhandel sich künftig verstärkt profilieren. Entsprechend positionieren könnten sich Märkte dabei aber nicht nur über die Sortimente, sondern auch über die Optik. „Das Ausland macht es vor: Hier gibt es bereits viele Märkte, die Abteilungen mit Wochenmarktatmosphäre führen, in denen beispielsweise nur regionale Produkte angeboten werden“, argumentiert Zentes.

Faktor 3: Genuss & Erlebnis.

„Die Verknüpfung von Handel und Gastronomie birgt für Lebensmittelhändler große Chancen“, erklärt Zentes. So böte sich beispielsweise eine Sushibar an der Fisch-theke oder ein Steakrestaurant an der Fleischtheke an. „Solche Verknüpfung erhöhen den Erlebnisfaktor und gleichzeitig die Verweildauer im Markt“, so Zentes. Der Vorteil für die Konsumenten: Sie können essen gehen und Lebensmitteleinkauf sinnvoll miteinander verbinden.

Faktor 4: Lernen & Wissen.

„Die Verbraucher wollen heute immer mehr über Lebensmittel wissen“, erläutert Zentes. Das gelte längst nicht mehr nur für die Herkunft der Produkte. Instrumente zur Rückverfolgbarkeit eignen sich laut Zentes als gute Basis. „Kochkurse zur Verwendung von Lebensmitteln, Weinabende oder informative Seminare bieten Lebensmittelhändlern zusätzliche Chancen, den steigenden Ansprüchen der Verbraucher gerecht zu werden“, sagt Zentes.

Viele der aufgezeigten Faktoren seien im Ausland längst umgesetzt, bemängelt der Handelsexperte. Das gelte besonders für das Thema E-Commerce. „Während die britische Kette Tesco bereits einen dreistelligen Millionenumsatz erwirtschaftet, stecken entsprechende Konzepte bei uns erst in den Kinderschuhen“, sagt er. Besonders fatal sei die Entwicklung für Lebensmittelhändler mit hohen Nonfood-Anteilen: „Ich rate Großflächenbetreibern, frühzeitig in das Thema E-Commerce zu investieren“, so Zentes. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass das wachsende Online-Geschäft mit Nonfood weiter von Unternehmen wie Amazon dominiert werde.

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Interview

Janine Seitz ist seit 2008 im Zukunftsinstitut tätig. Die Kulturanthropologin ist Co-Autorin zahlreicher Studien des Unternehmens, aktuell „Sales Trends“, „Zukunft der Medien“ und „Die Netzgesellschaft“. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Zukunft des Handels, Digitalisierungstrends und Social Media.

Wie sieht der Lebensmittelhandel in 2020 aus?

Der Lebensmittelhandel wird sich wandeln – von einem Ort, an dem möglichst viele Produkte verfügbar sind, zu einem Ort an dem Freude am Essen und sinnliche Erfahrungen vermittelt werden. Heute bekommen wir Lebensmittel sortiert nach Produktkategorien, in Zukunft werden kuratierte Angebote dominieren, beispielsweise in Form von Kombinationen von Zutaten für ein Gericht oder Zusammenstellungen von Wochenmenüs. 2020 werden sich auch die Abo-Angebote, die momentan noch schleppend anlaufen, durchgesetzt haben. Individualität in der Zusammenstellung, aber auch in der Logistik ist dabei gefragt: Die einen möchten ihre „Lebensmittelrationen“ lieber im Supermarkt um die Ecke abholen, andere an die Wunschadresse geliefert bekommen.

Welche Faktoren werden den Lebensmittelhandel künftig stärker beeinflussen?

Die Digitalisierung und Vernetzung macht auch vor der Lebensmittelbranche nicht Halt. Immer mehr gut informierte Konsumenten wissen über Produkte und deren Herkunft und Inhaltsstoffe bescheid – manchmal besser als der Verkäufer selbst. Der Händler muss lernen damit umzugehen, dass Kunden mit dem Smartphone bewaffnet in den Laden kommen. Dieser kritische, informierte Konsument hinterfragt verstärkt die Produktionsbedingungen und fordert Transparenz in Zeiten, in denen ein Lebensmittelskandal den nächsten jagt. Zusatzinformationen zu Produkten zur Verfügung zu stellen, die weit über die Standards und Pflichten hinausgehen, entwickeln sich zum Wettbewerbsvorteil. Zudem wird die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln in den nächsten Jahren weiter steigen.

Wo sollten Handelsunternehmen ansetzen, um zukunftsfähig zu bleiben?

Stationäre Händler sollten sich auf ihre Stärken besinnen: auf eine erstklassige Beratung, auf die Emotionalisierung des Verkaufsortes durch sinnliche Erfahrungen und auf eine perfekte Produktinszenierung am Point of Sale. Mit diesen Aspekten tut sich der Online-Handel noch immer schwer. Es gilt also,  den Fokus nicht mehr nur auf Preisschnäppchen und Angebote zu legen, sondern mit dem Service zu punkten. Auf lange Sicht wird sich der Preiskampf in vor allem online abspielen – und auch weiterhin im Discount-Bereich.

Welche Rolle wird der Online-Verkauf von Lebensmitteln spielen?

Online-buchbare Abo-Services von Lebensmittel werden am Markt besonders erfolgreich sein. Lieferservices von Lebensmitteln erleben eine Renaissance, sowohl in der Stadt als auch verstärkt auf dem Land. So werden auch ältere Menschen und Bewohner in ländlichen Regionen verstärkt auf Lieferdienste zurückgreifen.

Der Deutsche ist für sein Preisbewusstsein bekannt. Wird sich das in Zukunft ändern?

Deutschland ist generell eine Schnäppchenjäger-Nation, keine Frage. Gleichzeitig legen die Deutschen sehr hohen Wert auf Qualität – das belegt auch eine von uns kürzlich durchgeführte Umfrage. Am liebsten kaufen Konsumenten qualitativ hochwertige Produkte zu einem möglichst günstigen Preis. Die Zeiten des Geiz-ist-geil sind aber definitiv vorbei. Vor allem wenn es um ihre Gesundheit geht, sind Konsumenten inzwischen stark sensibilisiert. Gute Qualität bei Lebensmitteln ist wichtig. Wer es schafft, besondere Qualität authentisch und ehrlich zu kommunizieren, kann mit einer Aufpreisbereitschaft seitens der Kunden rechnen.

Weitere Infos unter: www.zukunftsinstitut.de