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Der Mangel an Lkw-Fahrern nimmt bedrohliche Ausmasse an – auch in der Handelslogistik. Warum das so ist und was die Unternehmen dagegen tun können, ist Thema einer grossen Studie vom HDE.
Im deutschen Güterverkehr fehlten 2022 rund 50 000 Lkw-Fahrer – und die Lücke wird täglich grösser. Die ganze Dringlichkeit des Problems zeigt die unter Mitwirkung des Handelsverbandes Deutschland (HDE) veröffentlichte Studie «Begegnung von Kapazitätsengpässen im Strassengüterverkehr – Fokus Personal». Ihr zufolge werden in diesem Jahr voraussichtlich weitere 20 000 Stellen nicht besetzt werden können, so dass der Fehlbestand auf 70 000 Fahrer steigt. Für immer mehr Akteure ist dies der zentrale limitierende Faktor ihrer Wertschöpfungsprozesse: Frachtführer müssen Aufträge ablehnen, da sie gezwungen sind, Fahrzeuge stillzulegen. Verlader aus Industrie und Handel haben Mühe, ausreichend Kapazitäten im Markt zu finden. Durch diesen Mangel entstanden im Jahr 2022 zusätzliche Kosten für die deutsche Wirtschaft in Höhe von etwa zehn Milliarden Euro. Die höchsten absoluten Kosten haben die Hersteller und Händler von Lebensmitteln und anderen Konsumgütern zu tragen, mit deutlichem Abstand gefolgt von den Schlüsselindustrien Metallverarbeitung und Maschinenbau, Automobilbau, Chemie und Bauwirtschaft.
Handel besonders betroffen
Gerade der Einzelhandel ist laut HDE auf funktionierende Transportketten im Strassengüterverkehr angewiesen, um die Versorgung der Bevölkerung in der Fläche sicherstellen zu können. Die Handelslogistik sei daher besonders von dem Fachkräftemangel betroffen. «Mit dem Strassengüterverkehr lassen sich auch die Handelsstandorte erreichen, die nah am Kunden sind. Damit das so bleibt, braucht es Lösungen zur Beseitigung der personellen Engpässe in der Logistik», sagt Ulrich Binnebößel, HDE-Abteilungsleiter Logistik. Wichtig sei jetzt, dass Politik, Bundesagentur für Arbeit, Transportwirtschaft, Verlader aus Industrie und Handel sowie die mit der Berufsausbildung und Nachwuchsgewinnung befassten Akteure einen gemeinsamen Ansatz finden, so Binnebößel weiter. Die Hauptursachen sind laut Studie lange, unattraktive und wenig planbare Arbeitszeiten, fehlende gesellschaftliche Wertschätzung, ein unattraktives Gehalt im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, zu wenig Nachwuchs aufgrund des demografischen Wandels und Aussetzens des Wehrdienstes im Jahr 2011. Wurden in den Jahren davor noch zwischen 10 000 und 15 000 Lkw-Dienstfahrerlaubnisse beim Bund erworben, waren es 2012 nur noch 6500 (Quelle: EuroTransport). Eine im Rahmen der Studie geführte Umfrage unter LKW-Fahrerinnen und -Fahrern zeigt, dass diese mit der Berufswahl zufrieden sind. Es besteht jedoch Verbesserungsbedarf der Rahmenbedingungen, vor allem auch bei den Arbeitgebern selbst. Bei der Suche und besonders beim Finden von Fahrpersonal steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Zielgruppe erreicht wird. Grundsätzlich gibt es wenig Unterschiede zwischen den Altersgruppen, über welche Wege ein Job gesucht wird. Es zeigt sich, dass die Suche nach einer offenen Stelle am seltensten über die Bundesagentur für Arbeit geht. Vielmehr dominiert bei allen Altersgruppen mit 28 Prozent interessanterweise die Antwort «über Kollegen/Kolleginnen». Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen aus den Unternehmen.
Gehalt nur Nebensache
Eine zentrale Erkenntnis der Studie lautet: «Um Fahrpersonal zu finden und zu halten, sind eine zufriedene Belegschaft und damit eine attraktive Unternehmenskultur notwendig.» Diese Aussage wird von den befragten Fahrerinnen und Fahrern bestätigt. Bei den Wünschen an den Arbeitgeber dominieren die qualitativen Aspekte, nicht die monetären. Die ersten vier Plätze im «Attraktivitäts-Ranking» sind geprägt von Wünschen, die zu einer qualitativen Verbesserung des Arbeitsumfelds führen. Das Miteinander und das direkte Arbeitsumfeld spielen wichtige Rollen, damit sich die Mitarbeiter wohlfühlen und mit dem Unternehmen identifizieren. «Insbesondere diese Punkte bilden einen Wettbewerbsfaktor im Kampf um das Fahrpersonal, die sich nicht einfach kopieren lassen wie ein höheres Gehalt», so die Autoren. Auffallend ist, dass in der Altersgruppe zwischen 31 und 50 Jahren die individuelle Prämie und der Treuebonus eine grössere Rolle spielen und damit die monetären Aspekte deutlich wichtiger erscheinen. Dies kann damit erklärt werden, dass in diesem Alter tendenziell mehr Ausgaben geplant werden (müssen), die etwa mit der Familiengründung zu tun haben. Auch im – für den Handel wichtigen – Nahverkehr werden die monetären Aspekte höher gewichtet als im Fernverkehr. Dort wird mehr Wert auf ein individualisiertes Fahrzeug gelegt.
Zu wenig Perspektiven
90 Prozent der Befragten wünschen sich eine Weiterbildung. Dass hier ein grosser Nachholbedarf besteht, ist offensichtlich. 48 Prozent der Befragten erhalten kein solches Angebot, obwohl sie das gerne annehmen würden. Dabei besteht eine besonders grosse Lücke im Nahverkehr (52 %). Bei der Differenzierung nach dem Einsatzbereich sticht hervor, dass im Nahverkehr die Wertschätzung schlechter und die Krisensicherheit besser bewertet werden. Vor allem aber sieht das Fahrpersonal Verbesserungspotenzial im Umfeld des Berufs. Dies umfasst die Arbeitszeiten, die Parkplatzsituation und die Wertschätzung seiner Tätigkeit von Vorgesetzten.
Erfolgreiche Ansätze
Es ist nicht so, dass die Unternehmen ihre Personalführung in der Logistik ganz neu aufstellen müssen, viele sind der Studie zufolge schon auf gutem Wege. So haben sich in der unternehmerischen Praxis bereits zahlreiche Ansätze etabliert, um dem Mangel entgegenzuwirken. Beispielsweise zielt eine «fahrerzentrierte Einsatzplanung» darauf ab, die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Ein Grossteil des Fahrpersonals wünscht sich flexiblere Arbeitszeitmodelle, um planbare Freizeit zu erhalten. Umgesetzt wird die Massnahme über einen umfassenden, frühzeitigen Einbezug des Fahrpersonals in den Planungsprozess direkt an der Schnittstelle zur Disposition. Unternehmen berichten von einer Steigerung der Arbeitszufriedenheit sowie einer deutlichen Reduktion der Fluktuation des eigenen Fahrpersonals.
Manko in der Ausbildung
Viele Unternehmen bilden seit Jahren Fahrpersonal aus. Andere aber verzichten darauf gänzlich. Nach wie vor sind angehende Auszubildende vor allem regional auf der Suche nach Ausbildungsplätzen. Das Potenzial an Bewerbern kann daher in der Fläche umso besser erschlossen werden, je mehr regionale Ausbildungsangebote existieren. Die Autoren der Studie richten einen dringenden Appell an all jene Flottenbetreiber, die bislang keine Ausbildungsangebote bereitstellen: «Bilden Sie aus!». Dabei sei es wichtig, neben der gezielten regionalen Adressierung auch das Potenzial von Frauen zu erschliessen. «Auch wenn der Anteil weiblicher Beschäftigter noch immer sehr gering ist, können Beispiele von Frauen im Beruf eine Inspiration bieten und dazu führen, dass sich zukünftig mehr weibliche Arbeitskräfte für den Beruf als Fahrerin interessieren», betont die Studie. Beim Sender Kabel Eins weiss man das längst und begleitet die «Trucker Babes» seit Jahren auf ihren Touren. Volvo Trucks hat im März 2023 eine Social-Media-Kampagne unter dem Hashtag #volvopassion gestartet. Bei der Aktion werden sechs sogenannte Ambassadors mit der Kamera bei ihren täglichen Jobs begleitet. Eine Protagonistin ist Silvia Maier. Die überzeugte Truckerin fährt seit neun Jahren Volvo und steckt mit ihrem Video möglicherweise andere Frauen mit der Leidenschaft fürs Lkw-Fahren an.