
Viele Nachhaltigkeits-Claims werden von den Verbrauchern nicht verstanden oder erzeugen falsche oder unrealistische Erwartungen. Warum mehr Transparenz wichtig ist.
Der Begriff Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Über alle Branchen hinweg wirbt die Industrie mit Nachhaltigkeits-Claims auf ihren Produkten, um Kaufanreize zu setzen. Allerdings werden viele Claims vom Verbraucher nicht richtig verstanden und wecken unrealistisch hohe Erwartungen. Eine Studie des SVI-Stiftungslehrstuhls für Marketing der HHL Leipzig Graduate School of Management und der GfK in Kooperation mit GS1 Germany ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen. Die Forscher untersuchten, wie deutsche Konsumenten Nachhaltigkeits-Claims wahrnehmen und welche Erwartungen diese bei ihnen auslösen. „Nachhaltigkeit ist heutzutage kein Nischenthema mehr; ein großer Teil der Verbraucher legt durchaus Wert auf ein gutes Gewissen beim Einkauf“, erklärt Anja Buerke vom HHL die Relevanz von Nachhaltigkeits-Claims für die Massenmärkte.
Nachaltigkeits-Claims richtig einstufen
Ein wesentliches Ziel der Untersuchung war es deshalb, aus den Erkenntnissen Kommunikationsempfehlungen abzuleiten, die in einem kostenlosen Leitfaden zusammengestellt wurden. „Wir möchten dazubeitragen, dass Produktvorteile substanzieller, verständlicher und einheitlicher ausgelobt werden“, erklärt Stephan Schaller, Senior Business Development Manager Sustainability von GS1 Germany. Das Ergebnis der Studie: Für Verbraucher ist es schwierig, den Informationsgehalt von Nachhaltigkeits-Claims richtig einzustufen. Demnach sind insbesondere Nachhaltigkeits-Claims zum Thema Klima für Verbraucher nur wenig verständlich und wenig kaufrelevant. Jedoch setzen die meisten Claims in der Regel durchaus Impulse für den Kauf. So lösen pauschale Aussagen wie „Aus kontrolliertem Anbau“ positive Assoziationen aus – obwohl diese in der Regel nicht näher defi niert verwendet werden, noch gesetzlich geschützt sind.
Bedarf an Kommunikation
Dieses subjektive Verstehen des Verbrauchers entspricht hingegen nicht immer dem tatsächlichem Sachverhalt. Ein Beispiel: So bedeutet etwa „Aus 100 Prozent recyceltem Material“ nicht, dass Produkt oder Verpackung auch „recyclebar“ sind, wie viele Shopper unterstellen. Verständliche und gelernte Aussagen wie „Mehrweg“ oder „nachfüllbar“ erweisen sich ebenso als kaufrelevant. Und schließlich: Umweltbewusste Konsumenten sind aufgeschlossener gegenüber Nachhaltigkeits-Claims, aber nicht unbedingt informierter. Auch die bewussten Einkäufer haben laut Studie bei Claims zum Thema Klima Verständnisprobleme und bewerten auch die pauschalen Claims wie „Aus kontrolliertem Anbau“ oder „Ökologisch nachhaltig“ nicht kritischer als andere Verbraucher. Das Fazit der Studie lautet deswegen: Es besteht ein hoher Bedarf für aufklärende Kommunikation. Denn es gilt, Greenwashing-Vorwürfe zu vermeiden: „Intransparenz, Verunsicherung und Vertrauensverlust erschweren es Vorreitern aus Handel und Industrie, nachhaltigkeitsorientierte Produktinnovationen im Markt zu etablieren“, umreißt Schaller von GS1 die Problemlage.
Nachhaltigkeit am Point of Sale
Aber was bedeutet dies nun für den Point of Sale? Eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Sortimentsgestaltung hält Schaller für eine der wichtigsten, aberauch schwierigsten Maßnahmen im Lebensmittelhandel: „Nachhaltigkeit mit seinen facettenreichen Herausforderungen wird schnell sehr komplex. Konsumenten fehlt der Einblick und das Wissen über die vielschichtigen Prozesse in der Lieferkette, um fundierte Entscheidungen pro Nachhaltigkeit zu treffen.“ Bei den Labels als Mittel zur Kommunikation scheiden sich jedoch die Geister. Für bestimmte Zielgruppen seien diese sinnvoll, glaubt Schaller, insbesondere für die nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten. Darüber hinaus gäben Labels auch anderen Shoppersegmenten Orientierung. Ebenso wichtig: „Unternehmen können den Lernprozess aber beschleunigen, indem sie einheitliche und aussagekräftige Begriffe verwenden und Konsumenten nicht durch unterschiedliche Formulierungen verwirren“, sagt Anja Buerke.
Transparent informieren
Beim Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) hält man dagegen eine ganzheitliche Kommunikationsstrategie, aufbauend auf einem glaubhaften Nachhaltigkeitsmanagement, für vorteilhafter als das Abbilden von Labels mit diversen Produktaussagen. Wenn schließlich das Gesamtbild eines Unternehmens positiv im Bereich Nachhaltigkeit behaftet sei, würde eine explizite Kommunikation auf Produktebene nicht mehr unbedingt erforderlich werden. Weitere wichtige Grundlage: „Der LEH sollte einen gemeinsamen Weg mit den Herstellern gehen. Der Dialog zwischen Handel und Hersteller bildet die Basis für ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit“, sagt Axel Kölle, Leiter des ZNU. Aussagen und Claims, die Verbraucher nicht verstehen, können sich langfristig negativ auf Industrie und Handel auswirken. Denn selbst wenn diese positiv wahrgenommen werden, können sie dennoch falsche oder unrealistisch hohe Erwartungen beim Konsumenten erzeugen. Wer sich solcher Botschaften bedient, läuft schnell Gefahr, seine Glaubwürdigkeit zu verspielen, sobald Verbraucher diese kritisch hinterfragen.