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Von den einen gehypt, von den anderen verteufelt: Big Data wird zum Goldesel hochstilisiert, gleichzeit bleibt das Sammeln persönlicher Daten umstritten. Eine Bestandsaufnahme.
Das Sammeln und Analysieren von Datenmengen kann die Welt verändern, sagen die Befürworter. Mit Big Data lässt sich wenig bis gar nichts anfangen, sagen die Kritiker. Einmal mehr spaltet ein technologischer Fortschritt die Meinung der Öffentlichkeit. Positivbeispiele sorgen für Erstaunen, gleichzeitig herrscht große Angst vor der völligen Überwachung. Zu den oft zitierten Anekdoten zählt etwa die Geschichte eines US-Amerikaners, der in eine Target-Filiale stürmte und sich beklagte, dass das Unternehmen seiner Teenagertochter Coupons mit Babykleidung zuschickte. Kurze Zeit später soll sich herausgestellt haben, dass die Tochter tatsächlich schwanger war. Der Hintergrund: Target will über Datenanalysen herausgefunden haben, dass Frauen ab dem dritten Schwangerschaftsmonat häufig parfümfreie Lotionen kaufen, später dann gewisse Nahrungsergänzungsmittel. Sobald dieses Kaufverhalten eintritt, kommt die Werbemechanik zum Einsatz. Ob Target mit seiner Analyse immer richtig liegt, ist nicht bekannt. Außerdem bleibt die Frage, ob man sich als Unternehmen einen Gefallen damit tut, derart in das Privatleben der Konsumenten einzugreifen. „Wir müssen frühzeitig die notwendigen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für einen verantwortungsvollen Einsatz herstellen, der dann auch entsprechendes Vertrauen schafft“, appelliert Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger vom Oxford Internet Institute.
Für Vertrauen sorgen
Auch Sascha Lobo, Internetexperte und Journalist, findet es gut, dass „Big Data derzeit so kontrovers und eifrig diskutiert wird, denn genau in diesem Moment wird die Art und Weise festgelegt, wie man gesellschaftlich mit diesem Instrument umgeht“. Nutzen könne man die Auswertung großer Datenmengen nämlich nicht nur für neue Geschäftsmodelle, sondern auch für fragwürdige Überwachungsszenarien. Einer, der von Big Data prinzipiell wenig hält, ist Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut: „Da Big Data in der Regel ohne jede Theorie und ein Verständnis für Ursachen arbeitet, kann eine Datenanalyse sehr schnell zu einer Illusion von Sicherheit werden.“ So hätten sich die Big-Data-Wechselkurs-Vorhersagen der großen Banken in der Regel als falsch erwiesen. „Man kann nun mal nicht aus der Vergangenheit heraus die Zukunft vorhersagen“, sagt Gigerenzer. In einer Welt, in der immer mehr Menschen Angst vor Verantwortung haben, sei Big Data ein willkommener Weg, um diese abzugeben. „So kann man als Manager den Fehler auf die falsche Analyse schieben.“
Angst vor Überwachung
Abgesehen vom Nutzen stößt Big Data in Deutschland auch aufgrund der Datenschutzthematik rasch an Grenzen. „Wir sehen Datenschutz noch aus dem 20. Jahrhundert heraus vor allem mit einer Einschränkung der Sammlung und Wiederverwendung von Daten“, so Big-Data-Sympathisant Mayer-Schönberger. „Durch die Wiederverwendung von Daten lassen sich aber neue Einsichten gewinnen. Wir müssen das Thema Datenschutz also neu denken – und viel stärker als bisher auf die verantwortungsvolle Verwendung der Daten abzielen“, sagt er. Sascha Lobo relativiert die Bedenken: „Verbraucher geben ständig alle möglichen Daten von sich preis, wenn sie das Gefühl haben, dass es ihnen etwas nutzt, sie dem Unternehmen oder der Institution vertrauen und ihnen der Vorgang leicht gemacht wird.“ Die öffentliche Meinung unterscheide sich hier sehr stark vom tatsächlichen Handeln.
Auf den Kunden eingehen
Trotz aller Bedenken: „Big Data bietet besonders für den Handel, der sehr stark durch Transaktionsdaten getrieben ist, signifikantes Optimierungspotenzial“, sagt Prof. Dr. Jörg Funder, Direktor am IIHD Institut. Handelsunternehmen könnten mithilfe von Big Data ein umfassendes Verständnis ihrer Kunden aufbauen, um deren individuelle Bedürfnisse und Wünsche nicht nur zu erkennen, sondern auch zu erfüllen. Diese Tatsache gelte besonders für Cross-Channel-Händler, da diese die Möglichkeit haben, das Kaufverhalten über alle Kanäle hinweg zu verfolgen. „Auch im Themenfeld Big Data zeigt sich, dass Innovationen im Handel typischerweise durch die USA und UK getrieben sind, während sich der deutsche Handel weniger innovativ, sondern stärker effizienzgetrieben zeigt“, so Funder. Dabei lasse sich beobachten, dass insbesondere das entscheidende Puzzleteil der „Datenanalytik“, mit dem Big Data erst zu einem Mehrwert wird, nur selten zur Anwendung kommt. Stattdessen beließen es die deutschen Handelsunternehmen dabei, Kundendaten zu akquirieren und anschließend zu speichern. Möglicherweise ein Fehler, schließlich gilt es für den Händler, wieder näher an den Konsumenten heranzurücken und ihm die Wünsche von den Augen abzulesen.
Optimierungsfelder durch Big Data im Handel (Quelle: IIHD)
- Category Management: Zielgruppenadäquates Merchandising (schnelleres Listing von neuen Waren und Auslisten von "Pennern") und Optimierung der Sortiments- und Preisstrategie;
- Einkauf & Logistik, Optimierung von Einkaufs- und Lieferzyklen, Optimierung von Lagerbeständen (Umschlagshäufigkeit) und Reduktion der Kapitalbindung;
- Marketing & Vertrieb: Stetige Verbesserung der Warenpräsentation, schnellere und zielgerichtete Marketing-Kampagnen, Optimierung des Empfehlungsmarketings und Steigerung der Customer Experience am POS;
- Kanal & Store Performance: Optimierung der Personalplanung im Store, Verbesserung der Beratungsqualität, Verringerung der Lagerhaltungskosten und Optimierung von Verfügbarkeiten bei Reduktion von Out-of-Stock Situationen; und
- Cross-Channel-Management: Verbesserung der Kanalintegration und Nutzung von Cross-Selling Synergiepotenzialen im Kanalmix.