BBE: Es braucht eine sorgfältige Zukunftsplanung

Freitag, 28. Oktober 2022
Foto: BBE/Quirin Leppert

Dr. Philipp Hoog, Leiter Strategieberatung bei der BBE Handelsberatung, sieht die Entscheider im Einzelhandel vor einer ganzen Reihe neuer Herausforderungen. Nicht allein die geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, auch Umwelt und Energie würden zum «Neudenken von bestehenden Geschäftsmodellen» auffordern. Das Gebot der Stunde sei, einen kühlen Kopf zu behalten, so Dr. Hoog gegenüber dem Markant Magazin One.

Herr Dr. Hoog, die deutschen Verbraucher lassen deutlich weniger Geld in den Kassen der Einzelhändler, der Konsumklima-Index der GfK erreichte im Sommer ein neues Allzeittief. Sehen Sie Zeichen der Entspannung, oder wird es noch schlimmer?
Dr. Philipp Hoog:
Inflation, Ukraine-Krieg, Lieferengpässe – die Ausgangslage war sicher schon besser. Dennoch muss ich sagen, dass ich zuversichtlich in die Zukunft blicke: Es wird weiterhin konsumiert. Es gibt eine Tendenz hin zum bewussteren Konsum, denn auch die Preissensibilität ist zurückgekehrt. Mit der Zeit ist hier von einer Gewöhnung der Kunden an die veränderte Ausgangslage auszugehen und es wird ein Stück Normalität zurückkehren.

Gleichzeitig muss der Handel auch noch andere teure Aufgaben bewältigen. Stichworte sind Nachhaltigkeit in allen Bereichen, Liefer- und Personalengpässe. Kann das alles mit den bestehenden Geschäftsmodellen gutgehen?
Dr. Philipp Hoog
: Das ist natürlich eine Einzelfallentscheidung. Es gibt Händler, die bereits gut auf die drängenden Fragen der Zeit eingestellt sind, andere haben hier noch Nachholbedarf. Wenn es darum geht, ein Geschäftsmodell für die Zukunft zu rüsten, geht es um krisensichere und tragfähige Konzepte. In der Strategieberatung zum Beispiel werfen wir hierzu einen Blick auf die Einzelbereiche des Unternehmens. Dabei analysieren wir, wie funktionale Aspekte auf eine nachhaltige Wachstumsstrategie einzahlen können. So entsteht ein individueller und konkreter Fahrplan – eine Zukunftsstrategie für das jeweilige Unternehmen.

Über welche neuen Strategien sollten Händler grundsätzlich nachdenken, was sind die Optionen?
Dr. Philipp Hoog:
Ein für die Zukunft wichtiger Ansatz ist die Verknüpfung des stationären Handels mit dem Online-Handel. Zu oft ist hier von Gegensätzen die Rede – dabei ergänzen sich die Handelsformen vielmehr und Online-Formate können den klassischen Handel effektiv unterstützen. Ich denke da an Click & Collect, Omnichannel-Lösungen und Marktplatzkonzepte. Ziel muss es sein, online und offline Kanäle möglichst sinnvoll zu verbinden und so einen Mehrwert für die Kunden zu schaffen.

Unter den Handelsbranchen steht der LEH aufgrund des täglich neuen Bedarfs vergleichsweise krisenfest da. Sehen Sie auch hier Risiken?
Dr. Philipp Hoog:
Der Lebensmitteleinzelhandel ist mit einem Marktvolumen von etwa 150 Milliarden Euro eine Bank. Auf den Erfolgen der Vergangenheit während der Pandemie sollte sich die Branche dennoch nicht ausruhen – denn auch hier gibt es Veränderungen: Discounter verzeichnen Kundenzuwächse. Getrieben wird dies von der aktuell hohen Preissensibilität der Verbraucher. Allerdings bauen die Vollsortimenter ihre Sortimentskompetenz aktuell vehement aus, um dadurch noch breiter entsprechende Zielgruppen ansprechen zu können.

Eine Ausnahme im boomenden E-Commerce ist noch der LEH. Wird das so bleiben?
Dr. Philipp Hoog:
Corona hat hier die Mentalität verschoben: Der E-Commerce konnte auch bei Lebensmitteln deutlich zulegen. Laut der neuen Studie, die wir gemeinsam mit dem IFH-Köln auf den Weg gebracht haben, lagen die Anteile 2021 bei knapp über vier Prozent. Bislang fehlt allerdings ein flächendeckendes Angebot. Mit seinem immer breiteren Angebot und Filialnetz als Logistikhubs hat der Online-LEH durchaus das Potenzial, Marktanteile dazuzugewinnen.  

Innenstädte wandeln sich rasant, der stationäre Handel ist in Bedrängnis. Mit welchen frischen Ideen lassen sich Handelsimmobilien in die Zukunft führen?
Dr. Philipp Hoog:
Frische Ideen sind ein gutes Stichwort: Produkte kaufen kann ich auch von zu Hause aus – der Handel muss aktiv Anreize setzen, die die Menschen in die Stadt und in die Immobilie locken. Das geht mit Eventflächen, angenehm gestalteten Räumen und eventuell auch architektonischen Highlights: Beim Einkaufsbummel geht es nicht mehr um Shoppen selbst. Kunden suchen nach Erlebnissen, die nachhaltig begeistern. Das geht soweit, dass wir in unseren Projekten derzeit sogar über (kleine) Freizeitparks neben Gartencentern, Möbelhäusern oder Baumärkten diskutieren und entsprechende Szenarien entwickeln.

Könnte der LEH, auch auf kleinen Flächen, neues Leben in die City bringen?
Dr. Philipp Hoog:
Der Lebensmitteleinzelhandel ist in jedem Fall ein Frequenzbringer und wird auch in den zentralen Innenstädten seine Abnehmer finden. Also ja, es kann funktionieren. Ein Umdenken in Konzeptarbeit von Gross- auf Kleinfläche ist allerdings notwendig, da oftmals andere Zielgruppen erreicht und Bedürfnisse gestillt werden müssen.

Welche Rolle spielt die Mitarbeiterführung auf dem Weg des Handels in die Zukunft?
Dr. Philipp Hoog:
Die Beschäftigten sind das Aushängeschild eines Unternehmens und dementsprechend gerade im stationären Handel eine unersetzliche Säule. Ohne gut ausgebildetes Personal fehlt dem Handel die Beratungskompetenz – ein Defizit, das Händler kaum auffangen können. Deshalb ist der richtige Umgang mit den Mitarbeitern elementarer Teil einer nachhaltigen Unternehmensstrategie.

Sind in Zukunft ganz neue Skills und Fähigkeiten der Mitarbeiter erforderlich, die der Handel bisher eher nicht hat?
Dr. Philipp Hoog:
Meiner Meinung nach geht es eher darum, die bereits vorhandenen Kompetenzen und Fähigkeiten stärker auszubauen: Die Kombination aus geschäftlichem Know-how und der Nähe zur Kundschaft sind die Schlüsselfaktoren. Vor Ort braucht es ausreichend Fachberater, die Experten auf ihrem Gebiet sind und den Kunden so ein exzellentes Beratungsangebot geben können. Gleichzeitig reden wir auch darüber, dass eine ordentliche Strategie nur auf Basis valider Daten gelingen kann.

Motivation und Wertschätzung spielen für die Generation Z eine entscheidende Rolle. Was kann und muss der Handel diesbezüglich tun, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben?
Dr. Philipp Hoog:
Wertschätzung ist ein zentraler Aspekt. Der Handel sieht sich oft mit dem Problem konfrontiert, dass junge Menschen nicht dauerhaft an Wochenenden arbeiten wollen, hier hilft ein ausgeklügeltes Personal-
Management weiter. Ausserdem kann ein intelligentes Bonussystem Anreize setzen.

Gibt es auch Dinge oder Gewohnheiten, die in der aktuellen Situation der knappen Kassen kontraproduktiv sind, die der Handel einfach sein lassen sollte?
Dr. Philipp Hoog:
Das Alltagsgeschäft im Handel kann mitunter sehr schnelllebig sein. Entsprechend neigen manche Händler dazu, auf Herausforderungen mit kurzfristig gedachten, taktischen Lösungen zu reagieren. Die Effekte sind zwar unmittelbar sichtbar, jedoch nur von kurzer Dauer und können sich langfristig auch als negativer Bumerang herausstellen. Gerade in von Krisen geprägten Situationen ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Langfristige Strategien zahlen sich letztlich für Händler aus, auch wenn diese in der Vorbereitung aufwendiger scheinen. Hektische Entscheidungen helfen dem Handel nicht weiter. Es braucht eine sorgfältige Zukunftsplanung, konkrete Massnahmen und Disziplin in der Umsetzung.  

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Steckbrief

Dr. Philipp Hoog ist leidenschaftlicher Unternehmensberater, Speaker und Autor. Er leitet den Geschäftsbereich Strategieberatung bei der BBE Handelsberatung GmbH in München. Nach seinem dualen Studium im Baumarkthandel, seinem Managementstudium an der EBS Universität in Wiesbaden und seiner Promotion im Bereich E-Commerce berät er gemeinsam mit seinem Team branchenübergreifend Unternehmen aus Handel, Konsumgüter und Dienstleistung bei Herausforderungen in Strategie, Marketing/Vertrieb und Organisation. 

Dr. Hoog veröffentlicht regelmässig praxisorientierte Beiträge in Branchen-Publikationen, Wirtschaftsmedien und hält Vorträge zu aktuellen Fragestellungen aus Handel, Konsumgüter und Marketing.