Retail.ai ist auf die Initiative von Prof. Dr. Peter Gentsch, Prof. Dr. Christian Au und Mark Michaelis entstanden. Sie engagieren sich für die Erforschung von KI und die Befähigung von Unternehmen und Mitarbeitern im Umgang mit generativer KI. Im Frühjahr 2024 haben sie zusammen mit der Markant das KI-Start-up gegründet und damit ein ganz neues Kapitel im Einsatz von GenAI im Handels- und FMCG-Bereich aufgeschlagen. Das Markant Magazin ONE hat die Fachexperten über ihre Mission und Vision befragt und was es bedarf, um heute Unternehmen «KI-ready» zu machen.
Was ist die Mission und Vision von Retail.ai?
Prof. Dr. Peter Gentsch: Unsere Mission liegt darin, wie wir ein durchaus komplexes, innovatives, schnell veränderndes Thema wie Künstliche Intelligenz (KI) in eine konservative Branche bekommen. KI ist heute kein «Nice to have» mehr, sondern ein «Must have». Der Handel wird nur überlebensfähig sein, wenn er kompetitiv ist, und da ist KI eine der Schlüsseltechnologien. Es ist eine der strategischen Leitplanken, um Europa, respektive die DACH-Region, wettbewerbsfähiger zu machen.
Prof. Dr. Christian Au: Es geht darum, KI im Handel und FMCG tatsächlich zum Einsatz zu bringen. Wirklich wertstiftende Lösungen sind in der Regel mit tiefem Prozesswissen verbunden. Das kann man nur in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen der Branche entwickeln.
Ist KI bei den Unternehmen schon angekommen?
Prof. Dr. Christian Au: Alle reden darüber und jeder arbeitet damit oder nutzt KI-Tools privat. Die Herausforderung vieler Unternehmen besteht in der Umsetzung. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, attraktive Anwendungsfälle für KI zu identifizieren und diese dann erfolgreich in die Praxis umzusetzen. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig: Einerseits entwickelt sich die Technologie rasant, andererseits stehen am Beginn der Implementierung oft zahlreiche Prüfprozesse, allen voran der Datenschutz. Zum anderen gibt es viele rechtliche Themen, die vor einem Produktiveinsatz geklärt werden müssen. Unternehmen sollten allerdings bereits vor einer finalen Klärung durch interne Experimente Wissen aufbauen und sich auch mit Blick auf die technische Infrastruktur auf den Einsatz vorbereiten.
Was sind aus Ihrer Sicht die Top-KI-Trends für 2025?
Prof. Dr. Christian Au: Zu einem der Top-Trends zählen die KI-Agenten. Die Idee von KI-Agenten basiert darauf, eigenständige Software-Entitäten zu schaffen, die in der Lage sind, Aufgaben autonom auszuführen, Entscheidungen zu treffen und mit ihrer Umgebung oder anderen Agenten zu interagieren. Das entlastet das Team und ermöglicht den Fokus auf wertschöpfende Tätigkeiten. Diese Systeme gewinnen immer mehr an Relevanz und werden in der neuesten Generation von «denkenden»-KI-Modellen von OpenAI oder Anthropic Endanwendern einfach zugänglich gemacht.
Prof. Dr. Peter Gentsch: Bei all dem darf die Customer Journey nicht ausser Acht gelassen werden. Denn zunehmend nutzen Konsumenten KI-Tools. Der Handel muss daher verstehen lernen, wie der Kunde tickt und vor allem wie er die KI nutzt. Letztlich geht es darum, den Shopper zu erreichen – mit oder ohne KI.
In welchem Bereich eröffnet KI dem Handel die grössten Chancen?
Prof. Dr. Christian Au: Das sind vor allem Aufgaben, bei denen ein hoher Aufwand für das Finden, Zusammenfassen oder Transformieren von Informationen besteht. Im Handel sind das beispielsweise Produktbeschreibungen. Heute lassen sich mit einem KI-Generator wie unserem ProductWizard schnell und einfach individuelle Produktbeschreibungen und zielgruppengenaue Marketingtexte für verschiedene Kanäle erstellen. Was zuvor einzeln erdacht, manuell erfasst und redigiert werden musste, kann nun in Sekundenbruchteilen für das komplette Sortiment via KI automatisiert erstellt werden. Die Basis hierfür bilden Produktdaten aus dem GDSN-Netzwerk. Das Tool erspart viel Zeit bei der Erstellung. Bislang sind die Use Cases noch sehr stark auf Effizienzsteigerung und Kostenersparnis ausgerichtet. Der nächste Schritt wäre dann in Richtung Innovation zu gehen, also per KI Produktideen zu kreieren.
Die Implementierung der KI-Lösungen stellt die Unternehmen vor Herausforderungen. Welche sind das und wie lassen sich diese bestmöglich meistern?
Prof. Dr. Peter Gentsch: Die Unternehmen müssen sich überlegen, wie sie das Upskilling hinbekommen. Es geht nicht nur darum, die Mitarbeiter darüber zu informieren, was KI kann. Sie müssen vielmehr abgeholt und ihnen Schulungen angeboten werden. Die Mitarbeiter müssen im Prompting fit gemacht werden, um den Transformationsprozess praxisorientiert anzugehen. Dazu braucht es auch Modelle, mit denen sie experimentieren können.
Prof. Dr. Christian Au: Auch die EU-KI-Verordnung stellt die Unternehmen vor Herausforderungen. Viele Aspekte sind aber dabei noch nicht geklärt oder werden gerade juristisch verhandelt. Ein praktisches Beispiel sind Bildrechte bei Fotos, die durch eine KI generiert wurden. Vom Anbieter bekommen Unternehmen in der Regel die Garantie, dass das Foto kommerziell genutzt werden darf. In den USA werden hierzu schon Gerichtsverfahren geführt. Die New York Times klagt momentan gegen OpenAI auf Grund der Texte, die für das Training der KI-Modelle genutzt wurden. Die Unternehmen stehen damit vor der Entscheidung, sich auf die Zusage des Anbieters zu verlassen oder abzuwarten und es nochmal von der eigenen Rechtsabteilung prüfen zu lassen.
Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht Kollaboration bei der Entwicklung von KI-Lösungen?
Prof. Dr. Christian Au: Es ist ein essenzieller Teil von erfolgreichen Lösungen. Ein Schlüssel zum Verständnis aktueller KI-Systeme ist, dass sie agentisches Verhalten gut abbilden können – also die Fähigkeit, menschliche Handlungen zu unterstützen und zu erweitern. Das bedeutet aber, sie müssen natürlich verstehen, welche Aufgaben erledigen die Mitarbeiter und wie tun sie dies? Wie sieht die Rolle eines Category-Managers aus? Was sind die Bedarfe der Mitarbeiter, um schneller oder effizienter arbeiten oder auch mehr Umsatz generieren zu können? Diese Daten erhalten sie nur, wenn sie dies nicht nur allein aus technischer Sicht beleuchten. Unsere Partner unterstützen daher die Prototypenentwicklung mit Use-Case-spezifischem Know-how zu Prozessen und Evaluationskriterien. Retail.ai übernimmt die technischen Aspekte – von der Konzeption bis zur Implementierung der KI-Pipeline. Bei all dem sind die Daten entscheidend.
Was heisst das konkret?
Prof. Dr. Peter Gentsch: Der Handel muss Daten teilen, um gemeinsam stärker zu werden. Wir haben aber schnell festgestellt, dass dies ein ambitioniertes Vorhaben ist und wir zuerst mit Knowledge-Sharing beginnen müssen. Für das Daten-Sharing braucht es einen gewissen Trust-Faktor, perspektivisch kann das ein Wettbewerbsvorteil für Deutschland, für Europa sein. Schliesslich sind Daten das neue Öl. Das gilt auch heute noch. Die Daten, die wir haben, sind ein Asset für die Industrie. Diese Daten hat GPT nicht. Daher werde ich weiter in Richtung Datenallianz arbeiten, um eine stärkere KI für den Handel zu entwickeln, um damit die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.