Unsere Arbeitswelt und Gesellschaft befinden sich in einem radikalen Wandel, der alle betrifft. Die Frage ist nur, wie wir ihn gestalten. Das Markant Magazin ONE hat mit Dr. Steffi Burkhart, Expertin für die Gen Y, Gen Z und Gen Alpha sowie deren Einfluss auf New Work Phänomene, darüber gesprochen, welches Mindset es hierfür braucht und warum Leadership so wichtig ist.
Frau Dr. Burkhart, täglich verlassen rund 5000 Babyboomer altersbedingt den Arbeitsmarkt. Was hat das für Folgen?
Dr. Steffi Burkhart: Das hat enorme Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Zum einen verlassen jetzt oder in den nächsten Jahren sogar ganze Abteilungen die Unternehmen. Zum anderen gibt es zu wenig junge Menschen, die nachkommen, demografisch gesehen, weil die Geburtenrate deutlich abgesunken ist. Die Unternehmen spüren immer mehr, dass der Personalengpass einen Einfluss hat auf die Performance, das Wachstum und den Gewinn.
Welche Rolle spielt in dem Kontext New Work?
Dr. Steffi Burkhart: Durch die Digitalisierung, aber auch Technologisierung und generative KI kann Personal an diversen Stellen künftig eingespart werden, erfordert aber auch neue Skills. Deswegen erleben wir jetzt eine erste KI-Kündigungswelle. Talente werden im grossen Stil entlassen, um mehr Raum für High Performer und generated-AI-skilled-Talente zu schaffen. Das heisst, im Rahmen von New Work spielt sowohl dieser Skill-Set-Shift eine wichtige Rolle, aber alles andere eben auch, was sich durch Digitalisierung und Technologisierung verändern wird. Ein Co-Play aus technologischer Intelligenz und menschlicher Intelligenz wird daher immer wichtiger.
Welche Entwicklung stellen Sie darüber hinaus fest?
Dr. Steffi Burkhart: Durch diesen Wandel haben sich auch die Bedürfnisse der Menschen verändert. So haben viele junge Menschen während der Corona-Pandemie die Sinnhaftigkeit ihrer Jobs in Frage gestellt. In den Fokus ist die Frage gerückt, wie sich die begrenzte Lebenszeit sinnvoll nutzen lässt. Dies hat dazu geführt, dass vor allem in den USA viele ihre Jobs gekündigt haben. Dieser Trend ist auch bei uns in Europa und Deutschland angekommen. Hinzu kommt, dass wir in einer Ära leben, wo es nicht mehr um ein rein klassisches wirtschaftliches Wachstum geht, sondern um die Frage, welchen Beitrag leisten wir als Organisation in der Gesellschaft und in der Welt im positiven Sinne. Wir nennen diese Ära die Post-Growth-Ära.
Das heisst, dass damit die Bedeutung des Gehalts in den Hintergrund rückt?
Dr. Steffi Burkhart: Wir sehen, dass junge Menschen nicht mehr zukünftig arbeiten gehen, nur um Geld gegen Arbeitszeit zu tauschen. Als Arbeitgeber kann ich nicht mehr davon ausgehen, dass Mitarbeiter mehr motiviert sind, wenn sie noch mehr Gehalt erhalten oder noch mehr auf den Status eingezahlt wird. Es geht darum, dass man als Unternehmen einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten muss. Es ist eben auch die Frage, wie man Wohlstand definiert: Gibt es nur materiellen Wohlstand oder auch immateriellen Wohlstand?
Wird dieser Trend dann die herkömmlichen Arbeitsmodelle verändern und in welcher Form?
Dr. Steffi Burkhart: Ja, durchaus. Das Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Modell ist für junge Menschen ein mögliches Modell. Es ist zu beobachten, dass junge Generationen zukünftig nicht nur einen Job haben oder bei einem Arbeitgeber arbeiten (wollen). Die Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort wird sich erhöhen. Das heisst, es werden sich neue Arbeitsmodelle herausbilden, und wir sehen, dass die Gig-Economy – also die Zielgruppe der Freiberufler – künftig wachsen wird.
Was sollten die Unternehmen in erster Linie daraus lernen?
Dr. Steffi Burkhart: Sie müssen verstehen, welche neuen Trends es gibt und sie müssen sich auch damit auseinandersetzen, um am Puls der Zeit zu bleiben, um attraktiv für Talente zu bleiben. Wenn sich nun die Bedürfnisse und Ansprüche ihrer Mitarbeiter verändern, muss ein Unternehmen auch das verstehen und mit solchen Entwicklungen umgehen. Wir werden es zukünftig viel häufiger erleben, dass durch das Metaverse oder durch Remote Working, Mitarbeiter beispielsweise in Dublin sitzen, aber für eine Verwaltung in einer kleinen Stadt in Süddeutschland arbeiten. Das ist für mich das Next Level of Remote Work, das nun vor uns liegt. Es ist wichtig, die Chancen zu erkennen.
Wie können Unternehmenjunge Talente für sich gewinnen?
Dr. Steffi Burkhart: Es gilt zu verstehen, dass viele der jungen Generation keine fünf Tage die Woche in einem 40-Stunden-Modell mehr arbeiten werden. Sie werden ihr Leben lang auch nicht nur für einen Arbeitgeber arbeiten. In der Wissenschaft gehen wir bei der Generation Z von zwölf Jobwechseln aus. Zudem kommunizieren junge Menschen anders, sie haben ein anderes Interaktionsverhalten. Unternehmen müssen diese Dinge verstehen, ehe sie überlegen, wie sie es schaffen, junge Talente für sich zu gewinnen.
Welche Massnahmen müssen die Unternehmen hierzu ergreifen und welche Schritte sind erforderlich?
Dr. Steffi Burkhart: Wir sind heute in einer Attention-Economy angekommen, in einer Aufmerksamkeitsökonomie, wo man es überhaupt erst einmal schaffen muss, in das Aufmerksamkeitsfeld junger Menschen zu kommen. Alle buhlen um unsere Aufmerksamkeit, vor allem im Internet und auf den Social-Media-Kanälen. Wer jedoch digital nicht proaktiv und kreativ auf Menschen und Talente zugeht, existiert für sie häufig nicht. Neben der Attention-Economy leben wir auch in einer Experience-Economy, einer Erlebnisökonomie, wo es den Menschen immer mehr auch um positive Erlebnisse geht, die man schaffen muss. Das bezieht sich nicht nur auf die Kunden, wenn es um Produkte und Dienstleistungen geht, die wir verkaufen wollen, sondern auch darum, Talente für sich zu gewinnen. Also zu glauben, man begeistert vor allem junge Menschen in Bewerbungsgesprächen, die in Räumen mit grauen Böden und grauen Wände stattfinden und bei denen wir Cola, Fanta, Sprite und Kekse auf den Tisch stellen, wie wir es schon seit 20 Jahren machen – das wird nicht mehr funktionieren. Es geht vielmehr um positive Emotionen und um Wow-Momente. Es geht um gelebte Wertschätzung.
Die Babyboomer gehen in Rente. Viele Führungspositionen werden frei. Die Generation Z will aber keine Führungsverantwortung übernehmen. Warum ist das so?
Dr. Steffi Burkhart: Mit einer klassischen Karriere ist auch immer Führungsverantwortung verbunden. Dass sie weniger Führungsverantwortung übernehmen wollen, liegt daran, dass der Anspruch an Führung sich verändert hat und dass jemand, der heute in Führung ist, gefühlt alles können muss: Management, Leadership und Fachexpertise. Häufig führt das selbst zur Überlastung von Führungskräften und dazu, dass man sich nicht mehr auf seine Stärken konzentrieren kann. Als Beispiel: Wenn wir den besten Vertriebler in eine Führungsposition befördern, heisst das nicht, dass er mit einer Top-Fachexpertise auch ein Team führen und Menschen weiterentwickeln will. Deshalb wird meiner Meinung nach das Bild von Führung auch für junge Menschen wieder attraktiv, wenn wir Management, Leadership und Fachexpertise differenziert betrachten, Führung und Führungsrollen im eigenen Unternehmen neu definieren und Expertise in den Bereichen Management, Leadership und Fachexpertise gleichwertig entlohnen.
Braucht es dazu auch Vorbilder?
Dr. Steffi Burkhart: Absolut, wir brauchen viel mehr Leadership und auch Vorbilder. Wir brauchen Persönlichkeiten, die Menschen inspirieren, begeistern, sie wirklich entwickeln, sie da zu sehen, wo sie stehen, sie zu ermutigen, sie mit durch Krisen zu führen. Apple-Gründer Steve Jobs ist so ein Leader oder auch Elon Musk. Ihnen folgen Menschen, sie sind ein bisschen verrückt und verkörpern den Spirit, das Unmögliche möglich zu machen.
Welche Person inspiriert Sie?
Dr. Steffi Burkhart: Zu dem Thema Leadership als Beispiel finde ich Simon Sinek sehr inspirierend, ein englischer Autor und Motivationsredner und Unternehmensberater. Ihm auf seinen Social-Media-Kanälen zu folgen lohnt sich!