Wie können wir in Zukunft umweltbewusst handeln? Was braucht es, um Veränderungen zu etablieren? Wissenschaftliche Erkenntnisse und psychologische Ansätze zum Thema «Warum Nachhaltigkeit immer im Kopf beginnt», präsentiert die Neurowissenschaftlerin und Spiegel-Bestsellerautorin Prof. Dr. Maren Urner im Interview mit dem Markant Magazin ONE.
Frau Prof. Dr. Urner, was löst das Wort Nachhaltigkeit im Kopf der Verbraucher aus?
Prof. Dr. Maren Urner: Das ist unterschiedlich, weil es viele verschiedene Köpfe gibt und viele verschiedene Gehirne da drinstecken. Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der polarisiert. Es gibt Zielgruppen, die Wert darauflegen und entsprechende Produkte kaufen. Es gibt aber auch Zielgruppen, die damit nichts am Hut haben möchten. Sie assoziieren Nachhaltigkeit mit Verbot und Verzicht. Das alles ist geprägt durch die Debatten, die wir in den letzten Jahren geführt haben. Letztlich bedeutet nachhaltig zu sein, nichts anderes als zukunftsorientiert zu sein und so zu handeln, dass es auch im Nachgang noch für andere Menschen gute Handlungsoptionen gibt.
Dem Shopper ist Nachhaltigkeit wichtig, beim Kauf an der Kasse sieht es anders aus. Wie lässt sich dieses Verhalten erklären?
Prof. Dr. Maren Urner: Das ist die sogenannte Action Behavior Gap, die Absichts-Verhaltenslücke. Man geht mit einer Absicht rein und macht genau das Gegenteil. Das Gleiche beobachten wir in vielen anderen Lebensbereichen wie zum Beispiel beim Gesundheitsverhalten. Das passiert, weil wir von vielen Dingen beeinflusst werden – von Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Wir sind eben keine Computer, wo mit einem Klick das Ganze sofort umgesetzt wird. Mit Blick auf die Kaufentscheidung zählt für den Shopper nämlich nur eines: der Preis. Es zählt der direkte Nutzen im Sinne von «wie viel Spass werde ich damit haben».
Wie kann es gelingen von der «Jetzt ist eh alles zu spät!»-Mentalität in ein gemeinsames, dynamisches Handeln zu kommen?
Prof. Dr. Maren Urner: Was wir aus der Psychologie und den Neurowissenschaften wissen, ist, dass der Verbraucher erst mal die Überzeugung haben muss, dass er selbst wirksam sein kann. Das heisst, wenn er etwas tut, dass dies tatsächlich einen Einfluss hat. Wir haben mittlerweile eine Pandemie der Hilflosigkeit. Das können wir weltweit beobachten. Sehr viele Menschen haben die Überzeugung, dass sie selbst nichts ausrichten können. Wir können die Menschen nur dann zum Handeln bringen, indem wir ihnen Räume und Möglichkeiten der Selbstwirksamkeit geben.
Es fehlt also der spürbare Effekt, um nachhaltig zu handeln?
Prof. Dr. Maren Urner: Der Effekt muss nicht immer sofort sichtbar sein, aber es hilft natürlich sehr. Das ist die Problematik bei der Nachhaltigkeit. Wenn ich einen CO2-intensiven Flug buche oder ein Schnitzel esse, dann erwärmt sich das Klima nicht auf einmal um zwei Grad. Ich spüre den Effekt nicht sofort. Im Sinne der Selbstwirksamkeit gilt es zu handeln, wo der Shopper direkt merkt, damit macht er einen Unterschied. Es gilt nicht nur zu wissen, welche Konsequenzen das Verhalten hat, sondern auch zu wissen, was ist die bessere Entscheidung.
Das ist der Grund dafür, warum Nachhaltigkeit im Kopf beginnt?
Prof. Dr. Maren Urner: Alles beginnt im Kopf, davon bin ich als Neurowissenschaftlerin fest überzeugt. Ein Umdenken, ein Umfühlen, ein anders machen beginnt im Kopf. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Menschen vor allem nicht auf Fakten reagieren, auch im Kopf nicht. Es ist aber auch nicht so, dass die Emotionen im Herz sitzen. Alles, was im Kopf passiert, sprich meine Vorliebe, meine Überzeugung, oder meine Zugänge zu dem Thema, passieren darüber, dass ich emotional von einer Sache betroffen bin, also dass ich mich auf eine gewisse Art und Weise angesprochen fühle. Das passiert über die emotionale Komponente, nicht über: «Ich lerne einen neuen Fakt und dann mache ich es anders».
Wie können wir künftig umweltbewusst handeln?
Prof. Dr. Maren Urner: Erstmal müssen wir davon wegkommen, den Begriff Umwelt zu benutzen. Denn der Begriff Umwelt sorgt dafür, dass ich trenne zwischen mir und meiner Umwelt. Und damit geht das Gefühl einher: «Das betrifft mich nicht». Fakt ist, wir sind alle massiv abhängig von dieser vermeintlichen Umwelt. Es geht hier vor allem auch darum, Nähe zu kreieren, um das Verhalten zu ändern.
Wie kann dies gelingen?
Prof. Dr. Maren Urner: Es gilt eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, die uns immer wieder daran erinnert und verdeutlicht, dass wir ein Teil dieser Umwelt sind. Vielleicht brauchen wir auch neue Wörter, vielleicht brauchen wir neue Konzepte, was wir auf jeden Fall brauchen, sind neue Erfahrungen und Initiativen wie Acker e. V., die Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen wieder beibringen, wo unsere Nahrung herkommt. Das hat nichts mit irgendeinem Öko- oder Grünanstrich zu tun, sondern das ist unsere Biologie.
Sind daher Vorbilder wichtig?
Prof. Dr. Maren Urner: Absolut. Denn Vorbilder können uns die Selbstwirksamkeit näherbringen. Wenn ein Mensch oder eine Gruppe Dinge anpackt und plötzlich was passiert, dann entsteht eine neue Dynamik. Am Beispiel einer PV-Installation lässt sich das gut erklären. Wenn noch keiner in einer Stadt oder in einer Strasse eine PV-Anlage installiert hat, dann wird wahrscheinlich auch niemand damit anfangen beziehungsweise die Hürde ist viel schwieriger zu nehmen. Sobald wir aber eine gewisse Durchdringung haben, entsteht ein neuer Trend und der Wunsch nach Zugehörigkeit setzt ein. Man spricht darüber und vielleicht kommt noch eine spielerische Komponente hinzu, wenn es darum geht, welche Strasse in einem gewissen Zeitfenster am meisten Energie sparen kann. Es geht darum, einen Rahmen zu setzen, auch über die Gesetzgebung hinaus, der dazu einlädt, aktiv zu werden und mitzumachen.
Wie gelingt es, die Klimakrise zu bewältigen?
Prof. Dr. Maren Urner: Es braucht neue Geschichten darüber, was normal ist und was Erfolg bedeutet und wie wir unser Zusammenleben gestalten. Ist es normal, sich von A nach B zu bewegen, indem ich aufs Fahrrad steige oder öffentliche Verkehrsmittel nutze? Sind die Menschen, die mit dem dicken Auto umherfahren, erfolgreicher im Vergleich zu denen, die zu Fuss gehen? Das Gleiche gilt für Kleidung, für Ernährung, wie wir wohnen, wie wir reisen – diese Fragen des Alltags gilt es zu überprüfen, ob dies nachhaltig im Sinne von zukunftsfähig ist. Wir müssen uns auch häufiger fragen, «wofür» statt «wogegen». Weil das «wofür» in unserem Gehirn, das wachrüttelt, was uns von allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten unterscheidet – nämlich unsere Vorstellungskraft. Diese mobilisiert uns, etwas überlegen zu müssen, was noch nicht da ist. Wenn ich «wofür» frage, dann muss ich selbst aktiv werden. Und dann sind wir wieder beim Stichwort Selbstwirksamkeit und beim Thema Zukunftsfähigkeit, genau das, was Nachhaltigkeit bedeutet.