Gesunde Möglichkeit

Montag, 25. April 2022
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Viele Verbraucher greifen zu veganen Lebensmitteln, um in erster Linie ihrer Gesundheit etwas Gutes zu tun. Doch sind die pflanzlichen Ersatzprodukte automatisch gesünder als herkömmlichen Produkte? Das Markant Magazin hat dazu renommierte Experten befragt und gibt einen differenzierten Blick auf den Ernährungstrend vegan.

Das Angebot für vegane (Fleisch-)ersatzprodukte ist immens gewachsen. Im Jahr 2020 produzierten die Unternehmen hierzulande im Vergleich zum Vorjahr knapp 39 Prozent mehr Fleischersatzprodukte: Von knapp 60,4 Tausend Tonnen stieg die Produktion auf 83,7 Tausend Tonnen, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt. Der Wert dieser Produkte erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 272,8 Millionen Euro auf 374,9 Millionen Euro (+37 %).

Die Hauptzielgruppe für pflanzliche Alternativen sind jedoch nicht die Veganer oder Vegetarier, sondern die Flexitarier. «Sie reduzieren den Konsum tierischer Produkte aktiv und machen 55 Prozent der Bevölkerung aus», sagt Katharina Kretschmer, Leiterin des V-Labels bei ProVeg. Ein Kaufkriterium sieht sie darin: «Das wachsende Angebot macht viele Menschen neugierig und eröffnet neue Geschmackserlebnisse.» Daneben sind vor allem Gesundheit, Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz laut ProVeg die Motive für eine vegane Ernährungsweise.

Inhaltsstoffe im Fokus

Der Handel greift die Bedürfnisse der Verbraucher auf und bietet ein breites Sortiment veganer Fertig- und Ersatzprodukte. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. bewertet dies positiv, weil es ein Beitrag zur pflanzenbetonten Ernährung ist. Doch sind vegane Ersatzprodukte gesünder als herkömmliche Produkte? Dazu berichtet Diplom-Ökotrophologin Astrid Donalies, Referat Öffentlichkeitsarbeit bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE): «Es handelt sich teilweise um hoch verarbeitete Produkte mit einem hohen Gehalt Speisesalz oder Fett oder ungünstigen Fetten, die mit vielen Zusatzstoffen versehen sind.» Solche Lebensmittel könnten ernährungsphysiologisch ungünstig und daher nicht unbedingt gesundheitsfördernd sein. Andererseits sind laut DGE vegane Fertig- oder Ersatzprodukte teilweise mit Vitaminen und Mineralstoffen angereichert und können dadurch einen nennenswerten Beitrag zur Nährstoffversorgung (z.B. Milchersatz durch Calciumanreicherung) leisten.

Dazu bemerkt Dr. Markus Keller, Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE) und Lehrbeauftragter an der Wilhelm Büchner Hochschule: «Ob vegane Ersatzprodukte gesünder als herkömmliche Produkte sind, kann weder klar mit ja oder nein beantwortet werden.» Es komme dabei auf die Inhaltsstoffe an, anhand von Nährwertprofilen lasse sich einen Vergleich vornehmen. Ein weiteres Kriterium können Zutaten wie Zusatzstoffe sein, die häufig in Ersatzprodukten zu finden sind. Einige Zusatzstoffe werden von den Verbraucherzentralen als kritisch eingestuft. Dazu zählt beispielsweise Konjak-Glucomannan (E 425). Konjak kann die Aufnahme wichtiger Nährstoffe im Darm verhindern und zudem zu Blähungen und Bauchschmerzen führen. Allerdings muss hier laut Dr. Keller zwischen konventionellen Produkten und Bio-Produkten unterschieden werden. In einer Untersuchung hat der Experte festgestellt, dass gerade bei Bio-Produkten das Thema Zusatzstoffe praktisch keine Rolle spielt. Und im Hinblick auf Fleischersatzprodukte ist er folgender Auffasssung: «Wenn herkömmliche Wurstwaren mit veganen Alternativen im direkten Vergleich stehen, dann sind diese tatsächlich günstiger für die Gesundheit, weil verschiedene ungünstige Inhaltsstoffe nicht enthalten sind.»

Kriterium Differenzierung  

Generell gilt: «Je weniger verarbeitet ein Produkt ist, desto besser. Nicht alle Produkte, die mit dem Vegan-Label werben, sind hochverarbeitet. Deshalb kommt es auch hier auf das einzelne Produkt an, genau wie bei den tierischen Lebensmitteln», sagt Dr. Annabel Oelmann, Vorständin bei der Verbraucherzentrale Bremen e. V. Weiter fügt sie hinzu: «Der Irrglauben – ähnlich wie bei Bio-Produkten – dass sie grundsätzlich gesund sind, ist auch durch Werbung gelenkt. Süsswaren wie Gummibärchen werden nicht gesünder oder enthalten weniger Kalorien, wenn diese auf einmal vegan sind.»

Es ist also mitnichten so, dass ein veganes Produkt automatisch gesünder ist. Davon ist Prof. Dr. Oliver Errichiello fest überzeugt, er ist Geschäftsführer des Büros für Markenentwicklung in Hamburg und Dozent für Markensoziologie und Markenführung an der Universität Hamburg, der Hochschule Luzern und der Northern Business School Hamburg. «Es gilt die goldene Mitte: einige Produkte sind hochgradig natürlich hergestellt, andere sind lebensmitteltechnische High-Tech-Produkte, die angetreten sind, genauso gut wie die konventionellen Fleischprodukte zu sein», so Errichiello. Das geschehe nicht automatisch oder per Zufall, oftmals werden hochspezialisierte Stoffe eingesetzt, die Produktion und Herstellung bedeutet einen hohen Aufwand. Dabei räumt der Markensoziologe ein: «Mit der Bezeichnung «vegan» scheint der «Heile-Welt-Inhalt» automatisch auf das Produkt ab, in der Psychologie spricht man vom sogenannten Halo-Effekt.»

Die Motive sich vegan zu ernähren sind indes sehr unterschiedlich. Auch hier gilt es differenziert an die Sachlage heranzugehen. «Wenn sich ein Verbraucher aus tierethischen Gründen vegan ernährt, ist es für ihn vermutlich weniger wichtig, ob das Produkt hoch verarbeitet ist, steht jedoch ein gesunder Lebensstil im Fokus, dann schaut der Konsument ganz genau auf die Zutatenliste, bevor das Produkt im Einkaufskorb landet«, so Donalies.

Genauer Blick  

Fakt ist: Die Produkte sind sehr unterschiedlich und lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren. «Verbraucher sind also dazu angehalten die Zutatenliste genau zu studieren, um mögliche unerwünschte Zusatzstoffe zu vermeiden. Aber insgesamt können vegane Ersatzprodukte eine gesunde Wahlmöglichkeit zu tierischen Produkten darstellen», informiert Antje Warlich, Team Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen e. V.

«Ob ein Produkt sich für die häufige Aufnahme eignet oder nicht, hängt vor allem davon ab, wie viel Energie, Fett, Zucker und Salz es im Vergleich zu wertgebenden Inhaltsstoffen liefert», bemerkt dazu Dr. Annabel Oelmann. Unverarbeitetes Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Getreide sind aber ebenfalls vegan und liefern viele wichtige Nährstoffe.  

Zudem ist Dr. Markus Keller der Auffassung, dass vegane Ersatzprodukte keine Grundnahrungsmittel sein sollten. Vielmehr können sie ergänzend zum Speiseplan eingesetzt und gegessen werden. «Zusammen mit Experten habe ich die Giessener vegane Lebensmittelpyramide entwickelt, ein Baustein davon sind Proteine. Diese können durch Hülsenfrüchte zugeführt werden, es können aber auch verarbeitete Produkte wie Tofu-Würstchen oder Seitan-Geschnetzeltes auf den Teller kommen», so Dr. Keller. Wichtig ist dem Experten vor allem eines: «Es gilt einfach selbst ein bisschen auf das Etikett zu schauen und vor allem ist unsere Empfehlung, Bio-Produkte zu bevorzugen.»

Ganzheitliche Betrachtungsweise

Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise empfiehlt Dr. Keller dem Handel, bei veganen Ersatzprodukten vor allem auf Bio-Qualität zu setzen. «Die Pioniere der Bio-Bewegung haben diese Produkte schon über viele Jahre entwickelt. Jetzt sind die konventionellen Hersteller auf den Zug aufgesprungen und haben die Bio-Produkte zum grossen Teil verdrängt. Der Nährwert pflanzlicher Alternativprodukte kann wiederum sehr unterschiedlich sein. Er hängt davon ab, welche Zutaten benutzt wurden und wie stark das Produkt verarbeitet wurde. Auch auf dieses Qualitätskriterium sollte der Handel bei der Listung veganer Produkte achten. Für ihn sind vegane Produkte empfehlenswert, die zum einen pflanzlich und zum anderen bio sind. Seine klare Botschaft an den Handel lautet daher: «Nur vegan oder nur pflanzlich reicht nicht.»

Zudem braucht es laut Branchenexperten eine verlässliche und transparente Kennzeichnung, um eine Kaufentscheidung treffen zu können. Bislang ist die Auslobung eines Lebensmittels als «vegan» eine freiwillige Angabe des Herstellers. Das V-Label hilft, weil es auf einen Blick die Wahrnehmung des Kunden in einen anderen Kontext rückt. «Im besten Fall muss der Hersteller nicht mehr viel erklären: Das Laben selbst wird zur Marke. Denn bei veganen Produkten ist man eher bereit, etwas mehr zu zahlen», erklärt Errichiello. Das liege daran, dass die Konsumenten keine Preisvorstellung in diesem Bereich haben und weil vegan für sie noch etwas «Besonderes» ist.

 

Nachgefragt

Ist der Hinweis «vegan» bei allen Produkten berechtigt?

Bisher gibt es keine verbindliche gesetzliche Definition des Begriffs «vegan». Hersteller können also eigene Kennzeichnungen entwickeln. Das führt nicht selten zu Missverständnissen, oft sogar zu offenkundigen Fehlern, da den Unternehmen das nötige Hintergrundwissen zu Inhaltsstoffen und wichtigen Produktionskriterien fehlt. Zudem fehlt eine unabhängige Instanz, die die Kennzeichnungen kontrolliert. So können Fehler durchaus unbemerkt bleiben. Viele moderne Produktions- und Verarbeitungsprozesse setzen tierische Mittel ein, die Verbrauchende gar nicht bemerken können. Selbst «von Natur aus» vegane Lebensmittel wie Äpfel sind unter Umständen mit tierischem Schellack behandelt. Deshalb sind transparente Kennzeichnungen unabhängiger Organisationen wie das V-Label so wichtig. Vegan sind laut dem V-Label Lebensmittel und Produkte, die nicht aus Tieren oder tierischen Bestandteilen erzeugt und auch nicht mithilfe lebender Tiere oder tierischer Erzeugnisse hergestellt werden. Dabei werden alle Produktions- und Verarbeitungsstufen einschliesslich Verarbeitungshilfsmitteln und Zusatzstoffen berücksichtigt. Auch Tierversuche sind nicht erlaubt. Ein mit Gelatine geklärter Saft kann laut V-Label also ebenso wenig vegan sein wie ein Fruchtgummi, den Karmin aus Blattläusen rot färbt.
Katharina Kretschmer, Leiterin des V-Labels bei ProVeg

Zum einen können Produkte unberechtigterweise den Hinweis «rein pflanzlich» tragen, obwohl tierisch gewonnene Inhaltsstoffe, wie z. B. Aromen verarbeitet wurden, denn bislang gibt es dafür keine rechtverbindlichen Definitionen. Zum anderen werden Produkte als «vegan» gelabelt die natürlicherweise vegan sind, z. B Margarine. Von Verbrauchern könnte diese Kennzeichnung lediglich als «überflüssiger Hinweis» bzw. «Verkaufsmasche» wahrgenommen werden. Anders ist es in der Getränkeherstellung, hier wird zum Beispiel Gelatine genutzt um Trübstoffe aus Weinen, Säften und Limonaden zu filtern. Es ist ein allgemein übliches und zugelassenes Verfahren. Somit ist die besondere vegane Kennzeichnung auf Getränken, auf denen kein tierischer Eintrag von Verbrauchern vermutet wird durchaus berechtigt und kein leeres Verkaufsargument für ein vermeintlich veganes Produkt. Zahlreiche tierische Bestandteile dienen als Trägerstoffe oder Lösungsmittel von Aromen, Enzymen und Zusatzstoffe oder als Verarbeitungshilfsstoffe, die während der Produktion eingesetzt werden. Unbeabsichtigte Einträge tierischer Bestandteile stehen einer «Vegan»-Kennzeichnung nicht entgegen, wenn sie unvermeidbar sind. Viele Hersteller drucken daher einen Spurenhinweis aufs Etikett, wenn sie unbeabsichtigte Spuren von tierischen Allergenen wie Fisch, Eiern oder Milch nicht ausschliessen können.
Antje Warlich, Team Lebensmittel und Ernährung, Verbraucherzentrale Niedersachsen e. V.

 

 

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Statements

Je weniger verarbeitet ein Produkt ist, desto besser. Nicht alle Produkte, die mit dem Vegan-Label werben, sind hochverarbeitet. Deshalb kommt es auch hier auf das einzelne Produkt an, genau wie bei den tierischen Lebensmitteln.
Dr. Annabel Oelmann, Vorständin bei der Verbraucherzentrale Bremen e.V.

Die Motive sich vegan zu ernähren, sind sehr unterschiedlich. Wenn sich ein Verbraucher aus tierethischen Gründen vegan ernährt, ist es für ihn vermutlich weniger wichtig, ob das Produkt hoch verarbeitet ist, steht jedoch ein gesunder Lebensstil im Fokus, dann schaut der Konsument ganz genau auf die Zutatenliste, bevor das Produkt im Einkaufskorb landet.
Diplom-Ökotrophologin Astrid Donalies, Referat Öffentlichkeitsarbeit bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE)

Es kommen verstärkt vegane Produkte auf den Markt, die als solche für Verbraucher nicht deutlich erkennbar sind. Um eine Kaufentscheidung treffen zu können sollte eine verlässliche und transparente Kennzeichnung vorliegen. Die Auslobung eines Lebensmittels als „vegan“ ist bislang eine freiwillige Angabe des Herstellers.
Antje Warlich, Team Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen e.V.

Das V-Label hilft, weil es auf einen Blick die Wahrnehmung des Kunden in einen anderen Kontext rückt. Im besten Fall muss der Hersteller nicht mehr viel erklären: Das Laben selbst wird zur Marke. Denn bei veganen Produkten ist man eher bereit, etwas mehr zu zahlen. Das liegt daran, dass die Konsumenten keine Preisvorstellung in diesem Bereich haben und weil vegan für sie noch etwas «Besonderes» ist.
Prof. Dr. Oliver Errichiello, Geschäftsführer des Büros für Markenentwicklung in Hamburg und Dozent für Markensoziologie und Markenführung an der Universität Hamburg, der Hochschule Luzern und der Northern Business School Hamburg

Fakten

  • 2021 ernährten sich laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2 % der Deutschen vegan, in Österreich sind es laut Statista ebenfalls 2 % und in der Schweiz bevorzugen 0,6 % der Konsumenten eine pflanzenbasierte Ernährung
  • Im Januar 2022 kamen über 350 pflanzliche Produkte, die das V-Label tragen, neu auf den Markt. Mehr als 360 weitere Produkte wurden zur Prüfung eingereicht (Quelle: ProVeg).
  • Im Jahr 2020 lag der weltweite Marktwert von veganen Lebensmitteln bei 14,44 Mrd. US-Dollar. Laut Prognose soll der Umsatz im Jahr 2025 auf 22,27 Mrd. US-Dollar steigen (Quelle: Statista).

Buchtipp

Öfter mal die Sau rauslassen
Unsere Ernährung hat einen bedeutenden Einfluss auf das Risiko für Zivilisationskrankheiten und den rasant fortschreitenden Klimawandel. Experten wissen: Eine gesunde und klimafreundliche Ernährung ist pflanzenbasiert. Vegan-Professor Dr. Markus Keller und Ernährungsexpertin Annette Sabersky zeigen auf undogmatische Art und Weise, wie der Weg zu viel mehr veggie und viel weniger Tier gelingt. Das Autorenteam fasst leicht verständlich den aktuellen Stand der Forschung zusammen und liefert Klartext im Dschungel der Ernährungs- und Umweltstudien.

  • Herausgeber: Verlag Eugen Ulmer (7. April 2022)
  • Gebundene Ausgabe: ‎288 Seiten
  • ISBN-13: 978-3818614850