Wurst als Lifestyle-Snack

Montag, 06. November 2017
Foto: Grillido

In einem schwierigen Umfeld suchen die Hersteller gezielt nach neuen Wegen. Nach fleischlos kommt jetzt eiweissreich.

Auf Wurst trifft vieles zu. Sie kann vielseitig, handwerklich anspruchsvoll und qualitativ hochwertig sein und viele empfinden sie als lecker. Doch als in, modern oder gar trendy gilt sie bisher eher nicht. Das ändert sich gerade. Am SB-Regal zeigt sich etwas, das Branchenexpertin Claudia Wild von der SBW-Fachberatung für Fleischer den «Grillido-Effekt» nennt. So heissen die Würste des gleichnamigen Start-up-Unternehmens, die für frischen Wind in der Branche und im Regal sorgen. Die Bratwürste in fünf Standard-Sorten haben nur rund sechs Prozent Fett, ebenso die Range «Grillido Sport» mit ihren drei Geschmacksrichtungen. Letztere kommen durch Lufttrocknung zusätzlich auf ganze 50 Prozent Eiweissanteil und haben es deswegen als to-go-Snack und deftige Alternative zu süssen Riegeln bis in die Fitnessstudios geschafft. Zudem enthalten beide Produktlinien weder Zusatzstoffe noch chemische Bindemittel und das Fleisch stammt aus artgerechter Haltung. 

Acht Millionen Vegetarier und eine Million Veganer 

Solche Erfolgskonzepte tun der Branche gut. Veränderte Essgewohnheiten, Kritik an Massentierhaltung und der demographische Wandel haben Spuren hinterlassen. Schätzungsweise rund acht Millionen Vegetarier und mehr als eine Millionen Veganer verzehren in Deutschland überhaupt keine Wurst mehr. Die 42 Millionen Flexitarier haben ihren Konsum deutlich reduziert. Die Folge: Der Wurstmarkt stagniert. Insider gehen davon aus, dass sich das in Zukunft auch nicht mehr ändern wird und rechnen mit einem Verdrängungswettbewerb. Neue Strategien müssen her. Die drei grössten deutschen Fleischhersteller, Tönnies, Vion und Wiesenhof beispielsweise, sind neben vielen kleineren Betrieben in den wachsenden Markt der Fleischersatzprodukte eingestiegen. Andere bleiben zwar beim ursprünglichen Rohstoff, entdecken aber, wie Grillido, ebenfalls «wenig Fett und viel Eiweiss» als Produkt-USP für sich. 

Das Interessante daran: Je nach Tierart und verwendetem Teilstück treffen diese Eigenschaften auf Fleisch ohnehin zu. Lebensmitteltabellen wie das Standardwerk «Souci, Fachmann, Kraut» zeigen: In 100 Gramm verzehrfertigem Rinder- und Schweinefilet sowie in Hühnerbrust stecken zwischen zwei und sechs Gramm Fett bei rund 21 Gramm Eiweiss. Warum also sind die neuen Trendwürste trotzdem so gefragt? Weil sie nun ebenfalls diese Eigenschaften aufweisen – im Gegensatz zur konventionellen Variante. Die neue Wurstgeneration schlägt nun also in doppelter Hinsicht neue Wege ein: mit modernen, eiweissreichen Rezepturen, die die Sichtweise der alten Metzgermeister «Geschmack braucht Fett» gekonnt widerlegen – und mit geschicktem Marketing. Dieses geht mit dem Thema offen um und erreicht die neue Zielgruppe, die sich bei Würsten genau das wünscht: «Zusatznutzen wie einen hohen Eiweissgehalt bei vollem Geschmack», erklärt Stephan Holst, Marketingleiter bei Bell. Was eine Herausforderung darstellt, denn Fett ist ein wichtiger Geschmacksträger. Die Produktentwickler haben also einiges zu tun, bis die Nährstoffzusammensetzung stimmt und der Geschmack rund ist.

Snacking und Convenience gefragt

Auch in anderen Bereichen des Fleisch- und Wurstwaren-Sortiments bieten sich für Hersteller und LEH Chancen durch neue Zielgruppen. Denn sie bringen neue Esskulturen mit, worüber sich weitere Verzehranlässe schaffen lassen. Auf Snacking etwa fokussiert sich derzeit Herta Finesse: Wie die zuständige Brandmanagerin der Marke, Stephanie Zängle weiss, nascht fast die Hälfte ihrer Kunden die Geflügelwurst direkt aus der Packung. Zängle sieht hierin Potenzial: Produkt und Verpackungen sollten «praktisch für unterwegs und wie gemacht für junge, mobile Kunden sein, die wenig Zeit haben.»

Produkte für den modernen, aktiven Lebensstil werden also auch in Zukunft gefragt sein. Ebenso solche für Ernährungs- und Gesundheitsbewusste – da ist sich Christopher Klotz, Marketing Manager bei Campofrio, sicher. «Ob sich die neue Wurstgeneration aber als eigenes Produktsegment durchsetzt oder den Status eines ausgelobten Zusatznutzens behält, wird sich zeigen.»

 

Interview

Claudia Wild, Gründerin und Inhaberin der SBW-Fachberatung für Fleischer 
 
Je nach Tierart enthalten Fleisch und seine Erzeugnisse ohnehin wenig Fett und viel Eiweiss. Warum beeinflusst dieser Trend trotzdem den Markt?
Es handelt sich in erster Linie um einen marketingorientierten Trend, so wie Veggie oder Low Carb auch einer sind. Früher war das Angebot überschaubar. Es gab die ein oder andere fettreduzierte Sportsalami und die Marke «VielLeicht», die es auch bis heute gibt, kam damals auf den Markt. Auch sie zeichnet sich durch fettreduzierte und damit besonders eiweisshaltige Produkte aus. Heute möchten Verbraucher zudem ein Sortiment, das aus ethisch korrekter Freilaufhaltung stammt, ohne Zusatzstoffe auskommt, gut schmeckt und vorzugsweise kalorienarm ist. Denn je nach Teilstück ist reines Fleisch zwar fettarm, doch in der Wurst sieht die Sache anders aus. Wenn dort aber Fett fehlt, ist umgekehrt mehr Muskelfleisch enthalten und somit mehr Eiweiss drin. 
 
Stellt das die Hersteller vor besondere handwerkliche Herausforderungen?
Fett ist ein wichtiger Geschmacksträger. Es ist eine Kunst, darauf zu verzichten und trotzdem leckere Brüh-, Koch- oder Rohwürste herzustellen. Insbesondere, wenn man nicht auf Zusatzstoffe zurückgreifen möchte.
 
Macht sich dieser Trend am SB-Regal bereits bemerkbar? 
Dort zeigt sich etwas, dass ich den «Grillido-Effekt» nenne. Das gleichnamige Start-up-Unternehmen vermarktet eiweissreiche Bratwürste und Landjäger, die schmecken, einen geringen Fettgehalt haben und bei ernährungsbewussten Menschen grossen Zuspruch finden. Die Landjäger sind sogar in Fitnessstudios als deftige Alternative zu süssen Eiweissriegeln gefragt. Die Unternehmensgründer haben den Finger am Puls der Zeit. Eine tolle Idee, wie ich finde.
 
Und an der Bedientheke?
Überwiegend wird noch die klassische Variante verlangt, allerdings ist auch dort das Thema «high protein, low fat» im Kommen und reiht sich ein. So, wie sich die Sortimente immer auf alle Kundenwünsche einstellen.
 
Wie sehen die Fleisch- und Wurstwaren der Zukunft aus?
Zukunftsstudien prophezeien, dass Lebensmittel immer stärker auf die Bedürfnisse der Verbraucher zugeschnitten sein werden und passgenau zu deren Gesundheitszustand passen. Deshalb wird es Fleisch- und Wurstwaren geben, die sich im Fettgehalt klar differenzieren und trotzdem gut schmecken. Ich denke, der Trend geht ganz klar hin zu Produkten für Sportler, Ältere, für Jüngere oder für Menschen mit ernährungsbedingten Krankheiten. Allerdings lässt sich das Rad nicht neu erfinden. Daher vermute ich, dass bestehende Rezepturen überarbeitet und die entstehenden Neuprodukte von starken Marketingkampagnen begleitet sein werden.
 
 
 
 

News

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Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Tipps

Wie sich Wurstwaren erfolgreich am POS vermarkten lassen. Die Empfehlungen der Markenartikler:

  • Die Regalfläche ist begrenzt, weiss man bei Campofrio. Deshalb kann die Vielzahl der erfolgreichen und erfolgsversprechenden Artikel nicht ohne weiteres präsentiert werden. Abhilfe schaffen Zweitplatzierungen in Form von Displays, Gondelkopf- oder Sonderplatzierungen. Markttests haben gezeigt, dass der Absatz so bis zu 400 Prozent gesteigert werden kann. Im Snacking-Bereich sorgen Cross-Category-Platzierungen bei Getränken – zum Beispiel Bier – und kleine Aufsteller im Kassenbereich für Aufmerksamkeit und Impulskäufe. 
  • Nestlé empfiehlt, auf bekannte Marken zu vertrauen. Herta Finesse stehe für Kompetenz im Kochschinken-Regal und habe mit 53 Prozent eine extrem hohe Wiederkaufrate. Verbraucher verbinden die Marke mit fettarmen Produkten und hoher Qualität. Vorteile, von denen Händler profitieren können. Auch über die Platzierung kann der Händler neue Impulse schaffen. Das Unternehmen empfiehlt, Herta Finesse SNACK ME! gezielt im To-go/Convenience-Regal zu platzieren. Das löst starke Impulskäufe aus und generiert durch den hohen Kundendurchlauf On-top-Umsätze.
  • Am POS lassen sich Kunden durch Sehen und Probieren der Produkte überzeugen, heisst es aus dem Hause Tulip. Impulse geben aufmerksamkeitsstarke, themenbezogene Bilder oder Plakate. Die Präsentation attraktiver, kleiner Häppchen dokumentiert den guten Geschmack und die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten im Rahmen eines individuellen Ernährungsplans. Generell geben das Herausstellen der Vorzüge von Fleisch- und Wurstprodukten durch Verkostungsaktionen, Rezeptvorschläge und themenbezogene «Rezepte der Woche» etc. dem Kunden wertvolle Hilfestellung bei der Produktauswahl.

 

Mehr zum Artikel

Die luftgetrockneten Filetstreifen von Bordeau Chesnel bestehen aus Rinder- oder Schweinefilet.

Die fettreduzierten Baconwürfel sind mild geräuchert.

Die Snack-me-Range von Herta Finesse ist speziell zum Snacken gedacht.

Die getrockneten Landjäger «Grillido Sport» aus Muskelfleisch enthalten 50 Prozent Eiweiss bei nur fünf Prozent Fett.

In der Snack-Tüte ist die Aoste Salami-Stückware aufgeschnitten, gepellt und verzehrfertig portioniert.

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