Zeitgeist ist die Denk- und Fühlweise einer Epoche, die einen unsichtbaren, aber wesentlichen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Auf dem Mitgliederkongress in München hat die Markant diesen Themenkomplex unter verschiedenen Aspekten beleuchtet.
Aktuell ist der Zeitgeist von Superlativen und Widersprüchen geprägt. Gemeinsam mit der Führungsebene der Handelspartner hat die Markant auf dem Mitgliederkongress, der vom 30. Juni bis 1. Juli im Hotel Bayerischer Hof in München stattfand, diesen Themenkomplex betrachtet. Kristina zur Mühlen, ehemalige tagesschau-Moderatorin führte durch die beiden Kongresstage.
Auftaktredner war Prof. Dr. Dr. h. c. Julian Nida-Rümelin, der in seinem Vortrag aufzeigte, wohin die Gesellschaft treibt. Eine Erkenntnis des Philosophen: Die Demokratie ist stärker, als wir meinen. Damit sie ihre Stärke behält oder wiederherstellt, muss sie sich gegen gewisse Trends behaupten. Ein Trend ist der Populismus. Demokratie bedeutet kollektive Selbstbestimmung der Freien und Gleichen, deren individuellen Rechte garantiert sind und die in einem Verhältnis der Kooperation zueinanderstehen.
Zukunft gemeinsam gestalten
Kooperation, Vertrauen und Fortschritt – dafür steht die Markant und darauf kommt es jetzt besonders an, da Krise auf Krise folgt und Preise explodieren. Zudem zeigt sich die Gruppe als verlässlicher Partner. «Wir bieten mit unserem Rohstoffmonitoring eine kleine Hilfe, notwendige Preiserhöhungen von denen zu unterscheiden, die stückweit übertrieben sind», so Dominik Scheid, Geschäftsführer der Markant AG. Ein weiteres wichtiges Thema für die Markant ist die Internationalisierung. «Wir glauben, dass das System der Markant in Europa Chancen hat, im Besonderen im östlichen Europa», berichtet Scheid. Kürzlich hat die Gruppe die Landesgesellschaft Brüssel für Belgien und Luxemburg gegründet. Ein entscheidender strategischer Schritt ist auch die BaFin-Lizenzierung als Bezahldienstleister im gesamten EU-Raum und die Gründung der Markant European Payment Services (MEPS). Die Markant ist ebenso ein wertvoller Helfer auf dem Weg in die Digitalisierung, ein Bespiel hierfür ist die Digitale Vorgangsakte. Mit Hilfe innovativer Technologie werden Dokumente entlang der Lieferkette digitalisiert, was zu einer Einsparung der Prozesskosten um rund 70 Prozent führt. Dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können, auch darin zeigt sich die Markant strategisch-innovativ. Die Gruppe arbeitet derzeit an einem Projekt, bei dem mit Hilfe von Machine Learning der CO2-Fussabdruck von einzelnen Produkten simuliert werden kann. Aufgrund ihrer Branchenrolle hat für die Markant auch das Thema Sicherheit eine hohe Brisanz. Knapp 100 Millionen Bestellungen laufen pro Jahr über deren Systeme. Ein elementarer Baustein, um die Sicherheit der Lieferkette sicherzustellen, ist daher ein sicherer Datenaustausch. «Unsere Partner aus Industrie und Handel vertrauen uns sensible Daten an, und wir gehen damit auch sensibel um. Natürlich ist es unser Ziel, unser eigenes Netzwerk zu schützen. Wir wollen aber auch mithelfen, die Netzwerke unserer Partner zu schützen, weil wir glauben, dass nur dann in diesem Netzwerk-Effekt eine höhere Sicherheit für alle Prozessbeteiligten entsteht», erklärt Markus Tkotz, Geschäftsführer Markant AG.
Erforderliche Kursänderungen
Corona in historischer Perspektive beleuchtete Prof. Dr. med. Karl-Heinz Leven, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin in Erlangen. Seine These: Wenn biologische Kriterien wie Infektion, Impfung, Ansteckungsverdacht mit moralischen Kategorien verbunden werden, dann entstehen Feindbilder. Der Weg daraus: mehr Ambiguitätstoleranz.
Der Fragestellung «Welchen Wohlstand können wir uns künftig noch leisten?» widmete sich Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt. Um die gesamtwirtschaftlichen Ziele zu erreichen, müssen Nachhaltigkeit, Resilienz und Sicherheit neues Gewicht verliehen werden. Die strategische Souveränität fusst allerdings auf Innovation. Eine Kurskorrektur in Sachen Klimakrise forderte Prof. Dr. rer. nat. Ernst Ulrich von Weizsäcker. Sein Theorem: Bislang geht das weltweite Wirtschaftswachstum parallel zur Klimaschädigung. Sein Postulat: Wir brauchen eine Entkoppelung des Wachstums von der Klima-Erwärmung.
Zeichen der Veränderung
Die Digital-Detox-Pionierin Anitra Eggler analysierte am zweiten Kongresstag die unererwünschten Nebenwirkungen von ungebremstem Bildschirmkonsum: digitale Dauerablenkung – Produktivitätskiller und Burnout-Treiber Nummer 1. Egglers These: 50 Prozent der Arbeitszeit von Bürokrieger*innen ist unproduktiv. Meetings fressen die Zeit, Mails rauben die Konzentration, das Handy lenkt zusätzlich ab. Führungskräfte können täglich nur noch 24 Minuten ungestört arbeiten. Egglers Rat: Täglich 30 Prozent Fokuszeit im Kalender blockieren. Push-Nachrichten an allen Bildschirmen deaktivieren.
Dr. Boris Nikolai Konrad ist Neurowissenschaftler und Weltmeister im Gedächtnissport. Gerade in Zeiten von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz bieten Gedächtnistechniken einen grossen Nutzen. Seine Kernaussagen: Wenn wir denken, lernen wir. Das ist fast ein Synonym. Gedächtnisleistung kann man trainieren und die Information liegt in der Verbindung, und nicht im Ort selbst. Seine Botschaft: Damit wir schlauer als die KI bleiben, müssen wir bereit sein, zu lernen. Lernen ist die grösste Konstante im Leben, die wir haben.
Prof. Dr. Harald Welzer, Soziologe und Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg, referierte unter anderem über die Begrifflichkeit Krise. Seine These: Flüchtlingskrise, Corona-Krise, Ukraine-Krise, Energiekrise – die Menschen benennen dies als Krise, weil man sich damit suggerieren will, dass es keine fundamentalen Veränderungsereignisse sind, sondern nur eine Unterbrechung von Normalität. Der Begriff der Krise hilft dabei, sich immer zu sagen, es wird wieder alles gut, wir werden zum Status quo wieder zurückkehren. Aber wir haben es nicht mit Krisen zu tun, sondern mit bleibenden Veränderungen unserer Lebensgrundlage.
Das Thema Veränderung haben auch die letzten beiden Redner aufgegriffen. Eine zentrale Aussage des Veränderungsexperten Ilja Grzeskowitz lautet: Veränderung geschieht nicht von allein, man muss aktiv etwas dafür tun. Dabei ist der wichtigste Erfolgsfaktor für Veränderung die eigenen Werte. Alexander Graf Lambsdorff, Mitglied des Deutschen Bundestages, sieht Veränderung darin, dass man sich bewusst machen muss, dass man in einer neuen Zeit lebt. Neue kalte Kriege werden die Welt verändern. Deswegen müssen alle ihre ausgetretenen Pfade verlassen und offen sein für Neues, neue Chancen und neue Märkte. Sein Appell: Fahren Sie Ihre Antennen aus, um neue Chancen zu entdecken.
Talkrunde
Ein Kongress-Highlight war die Vortrags- und Diskussionsrunde zum Thema «Ist der Zeitgeist von allen guten Geistern verlassen?». Dabei drehte sich alles um die Veränderung der Werte im Zeitverlauf, die Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Fernsehen analysierten. Die zentralen Aussagen im Überblick.
Dr. Klaus von Dohnanyi, Jurist u. Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg a. D.
Die Welt wurde durch Freiheiten globalisiert, die wir technisch und politisch entwickelt und dann genutzt haben. Jeder vernünftige Unternehmer muss diesen Möglichkeiten schon aus Wettbewerbsgründen folgen; günstigere Kosten auf Weltmärkten kann man nicht allein dem Konkurrenten überlassen. Dabei können zwangsläufig auch internationale Abhängigkeiten entstehen. Politik und Wirtschaft sollten durch friedliche Beziehungen der Staaten und eine geeignete Vielfalt der Lieferketten für mehr Liefersicherheit auch im Wechsel der Zeiten sorgen. Aber wirtschaftliche Verflechtungen und damit auch Abhängigkeiten von «autokratisch» regierten Ländern ganz generell zu vermeiden, wäre in einer offenen Weltwirtschaft ein Fehler.
Prof. Rudolf Hickel, Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler, Forschungsleiter am Institut für Arbeit u. Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen
Die sich seit geraumer Zeit durchsetzende Krise der entfesselten Globalisierung ist durch die Corona-Krise und den Putin-Angriffskrieg beschleunigt worden. Dafür steht nicht nur die plötzliche Störung der internationalen Verflechtung über zusammengebrochene Lieferketten. Bitter ist die neue, militärisch-geopolitische Erfahrung: Wohlstandsgewinne für alle Partnerländer durch die internationale Verflechtung sind, wie Putins imperiale Politik zeigt, kein Garant für Frieden. Um die Chancen der Globalisierung zu nutzen, braucht es soziale ökologisch regulierte Weltmärkte verbunden mit einer Friedensordnung.
Dr. Antonia Rados, Politologin, Kriegs- u. Krisenberichterstatterin
Ich habe auf meinen Reisen beobachtet, dass Werte faktenbasiert sind. Wenn sich Gesellschaften geändert haben, haben sich auch die Werte geändert. In dem Moment, wo Chaos und Unruhe in die arabische Welt eingezogen sind, mussten sie ihre Werte ändern und etwas finden, wo sie sich anhalten konnten. Daher sind die Werte religiöser geworden und oft hörte ich den Satz: «In diesem Krieg hilft niemand, nur Gott kann mir noch helfen.» In Krisensituationen ist es oft so, dass die Menschen glauben, das Irrationale ist die einzige Hilfe.