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Die Corona-Krise trifft den Einzelhandel besonders hart. Der Handelsverband Deutschland und Google haben daher ihre Kräfte gebündelt und die Initiative «ZukunftHandel» ins Leben gerufen. Das Markant Magazin hat mit Christian Bärwind, Industry Leader Retail bei Google Deutschland, darüber gesprochen, wie sich Digitalisierung auf die Fläche tragen lässt.
Herr Bärwind, Sie arbeiten für ein Technologieunternehmen. Erledigen Sie alle Einkäufe online oder bummeln Sie noch gerne durch die Innenstadt?
Christian Bärwind: Das kommt ganz auf die Situation an, beides lässt sich ja auch gar nicht mehr so leicht trennen. Häufig informiere ich mich vorher im Internet, und natürlich bestelle ich auch bestimmte Produkte im Netz. In anderen Fällen bestelle ich zwar online, hole die Waren aber dann in einer Filiale ab – wie kürzlich bei Media Markt. Das hat hervorragend funktioniert, da hatte ich den WLAN-Repeater noch am selben Tag. Einfach mal durch die Läden schlendern und auf gut Glück einkaufen gehört für mich aber ebenso dazu, und das möchte ich auch nicht missen.
Fakt ist, der Online-Handel boomt. Wie sollte der stationäre Handel sich künftig aufstellen?
Christian Bärwind: In den vergangenen zehn Monaten ist der Online-Handel so stark gewachsen wie in zehn Jahren zuvor. Die Konsumenten kaufen nun auch Produkte, die vorher hauptsächlich stationär erworben wurden, online ein. Auch bei weiterhin bestehender Verbundenheit der Kunden mit «ihren» lokalen Geschäften erwarten sie künftig einen Online-Zugang zu Angeboten, Informationen und Geschäftsabläufen der Läden. Somit ist es wichtig, dass jeder Händler die digitale Transformation für sich als Aufgabe begreift, ohne dabei den stationären «Touchpoint» mit dem Laden vor Ort zu vernachlässigen. Sie sollten also weg von einem getrennten On- oder Offline-Denken hin zum sogenannten «No-Line-Handel», bei dem beides perfekt ineinandergreift.
Wie digital ist der stationäre Handel?
Christian Bärwind: Hier sehen wir, je nach Branche und Unternehmensgrösse, ein differenziertes Bild. Es gibt reine Online-Unternehmen wie auch traditionelle Unternehmen, die den Weg zum Digital-Unternehmen schon gegangen sind. Viele, weil sie keine andere Wahl hatten, denken Sie an die Consumer-Electronic-Branche, bei der heute schon mehr als die Hälfte der Käufe im Netz stattfindet. Auf der anderen Seite hat die Hälfte aller Händler noch immer keine Website und ist somit im Netz nicht auffindbar. Angesichts des veränderten Konsumentenverhaltens ist das natürlich keine nachhaltige Strategie.
Warum hinkt der Handel bei der Digitalisierung so hinterher?
Christian Bärwind: Ich will hier nicht pauschal urteilen, oft ist es natürlich auch eine Frage der Ressourcen, sprich: Zeit und Geld. Für die deutsche Wirtschaft insgesamt glaube ich, dass etwas mehr Mut, Innovationsfreude und Risikobereitschaft in Sachen Digitalisierung gut täten. Durch Corona kommt es nun definitiv zu einer Beschleunigung des Trends, insofern wird nun vielleicht mancher zu seinem «digitalen Glück» gezwungen.
Haben Sie deshalb zusammen mit dem HDE die Digitalisierungs-Initiative «ZukunftHandel» ins Leben gerufen?
Christian Bärwind: Google unterstützt seit vielen Jahren die Digitalisierung in Deutschland, zum Beispiel im Rahmen unserer digitalen Bildungsinitiative «Zukunftswerkstatt». Wir arbeiten auch schon seit mehreren Jahren mit dem HDE an verschiedenen Projekten zur Digitalisierung des Einzelhandels. Insofern war es für uns keine Frage, dass wir jetzt in der Pandemie in einer der grössten Krisen des Handels unterstützen und mit anpacken. Unser gemeinsames Ziel ist es, möglichst vielen Händlern über diese schwierige Zeit hinweg zu helfen und dabei insbesondere auch den stationären Handel in den Innenstädten zu unterstützen.
Welche Geschäfte haben Sie dabei im Blick?
Christian Bärwind: Generell sind Google-Produkte natürlich für alle da. Unsere Initiative soll primär kleineren Handelsbetrieben helfen, das eigene Geschäft zu verbreitern und bei der nächsten Krise besser aufgestellt zu sein, dem kleinen Buchhändler ebenso wie grösseren Drogeriemärkten oder Modegeschäften. Die Produkte und Trainings im Rahmen der Initiative sind niedrigschwellig angelegt, das heisst, sie sind einfach, passgenau und ohne grössere Investitionen oder zeitlichen Aufwand für die Händler umsetzbar.
Auf welche digitalen Lösungen können die Betriebe im Rahmen von «ZukunftHandel» zugreifen?
Christian Bärwind: Ihnen steht ein digitaler Baukasten zur Verfügung, eine Sammlung von digitalen Werkzeugen und Trainings. Neben der Basis einer eigenen Website gibt es auch Lösungen, mit denen man zielgruppengenau und international bestehende und neue Kunden erreichen kann. Und dies immer in einer Verknüpfung von online und offline. Dazu zählen Googles Local-Produkte, die unter anderem auf Google Maps ausgespielt werden, wenn ein Kunde nach Produkten oder einem Laden in der Nähe sucht.
Auf welche Services sollte der Handel vor allem setzen?
Christian Bärwind: Die Pandemie hat das Konsumentenverhalten nachhaltig geändert. Online wird zur Gewohnheit, die Einkäufe werden noch stärker geplant und Kaufentscheidungen bewusster getroffen. Bei Produkten wie Bekleidung, Haus und Garten oder Elektronik geben fast 85 Prozent der Verbraucher an, ihr aktuell verstärkt online stattfindendes Einkaufsverhalten beibehalten zu wollen. Das bedeutet, dass Kunden auch bei weiterhin bestehender Verbundenheit mit «ihren» lokalen Geschäften künftig einen Online-Zugang zu Angeboten, Informationen und Geschäftsabläufen der Läden erwarten. Vor diesem Hintergrund haben wir neue Funktionen in der Google Suche und bei Google Maps entwickelt, die Einzelhändlern die Möglichkeit geben, ihre Kunden besser zu erreichen, auch und gerade in Innenstadtlagen.
Können Sie das konkretisieren?
Christian Bärwind: Die neuen Funktionen erlauben es Händlern, Corona-bedingte Änderungen des Geschäftsbetriebs, wie geänderte Öffnungszeiten oder Optionen zur Lieferung und Abholung zu kommunizieren. Die Kunden können damit verschiedene Offline-Dienstleistungen direkt online buchen. Gleichzeitig können Geschäfte ihre Produkte im Unternehmensprofil kostenlos präsentieren, sodass Verbraucher diese online entdecken, Verfügbarkeiten prüfen und im Anschluss vor Ort erwerben können. Des Weiteren macht Google Nutzer innerhalb der Suche und Maps verstärkt auf die Einkaufsmöglichkeiten «in der Nähe» aufmerksam, um Kunden während der Online-Produktsuche zum Einkauf im stationären Handel zu bewegen.
Was braucht es, um die Innenstädte attraktiver zu machen?
Christian Bärwind: Wenn der stationäre Handel eine positive Erfahrung für seine Kunden über alle Kanäle hinweg schafft, wird sich dies auszahlen, sowohl für die Geschäfte als auch für die Innenstädte. Es gibt eine Reihe von Instrumenten wie zum Beispiel «Google My Business» oder spezielle lokale Produkte, mit denen die Händler ihr Angebot schon im Netz erlebbar machen können. Wenn Kunden sich online über Verfügbarkeiten, Öffnungszeiten oder Sonderangebote informieren können, kommen sie auch eher in die Läden. Denn dann wissen sie, dass der Weg nicht umsonst sein wird. Bei Google haben Suchanfragen nach Öffnungszeiten zum Beispiel im Vergleich zum Vorjahr um 175 Prozent zugenommen. Doch das ist nur eines von vielen Beispielen, wie online offline unterstützen kann.
Wo liegen hierbei die grössten Herausforderungen?
Christian Bärwind: Die grösste Herausforderung liegt sicherlich darin, dass sich die Händler trauen und überwinden, neue Wege zu gehen. Wir möchten hier zusammen mit dem HDE und den weiteren Partnern der Initiative einen Impuls setzen. Eines ist in den vergangenen Monaten klar geworden: Wer im Handel auf beiden Beinen, also online und offline, gut dasteht, der hat bessere Chancen, gut durch die Krise zu kommen.