Umbrüche zwischen Anbau und Regal

Montag, 06. November 2017
Fotos: Fotolia ( peangdao, Thanaphat, kinwun)

Neue Nachfragetrends, mehr Online-Anbieter, innovative Anbaumethoden: Bis 2025 erwartet das GDI einen grundlegenden Wandel im Fruchthandel.

Der Handel könne schon heute mit Hilfe von Big Data wissen, welche Verkaufsstellen für welche Frucht eine besonders grosse Nachfrage versprechen. Jeder Supermarkt-Manager sollte auch daran interessiert sein, in seiner Frischezone «Inseln für Höherwertiges» zu schaffen. Neue Online-Formate wie Healthy-Delivery-Services bedienen ein bisher unbefriedigtes Bedürfnis nach Früchten und frischem Gemüse. Und schließlich macht die Digitalisierung auch vor der Landwirtschaft nicht halt und ermöglicht mehr Erträge und neue Angebotsformen. Das sind Kernthesen, die das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) in seiner Studie Die «Zukunft des Fruchthandels»aufstellt.

Konsumverhalten ändert sich 

Ein Treiber der Entwicklungen im Fruchthandel ist das sich ändernde Konsumverhalten. Frische, natürliche Produkte werden immer beliebter und quasi zur präventiven Medizin. Deshalb interessieren sich die Konsumenten auch zunehmend für deren Zusammensetzung und Wirkung. Für frische Früchten und Gemüse bedeutet dies, dass die Klassiker hoch im Kurs bleiben werden. Parallel dazu werden die optimal auf den Menschen abgestimmte Zusammensetzung der Ernährung und die Herkunft der Produkte an Bedeutung gewinnen. 

Die Digitalisierung ermöglicht sieben Tage die Woche 24 Stunden lang einen Zugang zu Inspiration, Information und Einkauf. Wartezeiten werden kaum mehr akzeptiert, stattdessen wünscht man sofortige Verfügbarkeit und Lieferung. Zudem lassen sich häufig Qualität und Preise im Netz viel rascher und einfacher miteinander vergleichen. Die Konsequenz für den Fruchthandel 2025: Frischprodukte werden künftig ebenso online eingekauft wie andere Waren. Schnelle Lieferservices bringen die Produkte zudem bequem nach Hause. Grosse Einzelhändler setzen daher längst auf eigene Onlineshops. «Kleinere verschwinden oder besetzen mit herausragenden Konzepten eine Nische. Digitale Plattformen, die gar nicht aus der Branche kommen, etablieren sich auf dem Frischhandel-Markt als neue Player», so das GDI.

Transparente Supply Chain 

Der digitale Zugang zu Informationen rund um Macharten und Produktionsbedingungen schafft eine neue Transparenz. Viele Anbieter gehen damit offensiv um und ermöglichen online die Nachverfolgung der Wertschöpfungskette bis hin zum einzelnen Bauern. Natürlichkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und Verantwortung stehen hoch im Kurs. In westlichen Gesellschaften sinkt das Interesse an materiellem Besitz. Stattdessen werden das einzigartige Erlebnis und die individuelle Erfahrung wichtiger. Im Zuge dessen wird auch das Essen regelrecht zu einer neuen Religion erhoben. Das Wissen um die Herstellung, Herkunft und Geschichte von Produkten stellt eine neue Form von Luxus dar. Realistisch wäre folglich ein Produzenten-Branding am Anfang der Supply Chain, etwa indem Hersteller versuchen, über Web-Services direkt an die Endkonsumenten zu gelangen. Am anderen Ende der Supply Chain müste jeder Supermarkt- Manager daran interessiert sein, in seiner Frischezone «Inseln für Höherwertiges» zu schaffen. Aufgrund der zunehmenden Big-Data-Bestrebungen grosser Handelsketten sollten sich solche Aktivitäten ohne großen Streuverlust realisieren lassen, so das GDI: «Regionalchefs führender Supermarkt-Formate müssten heute wissen, welche Verkaufsstellen sich für welche Frucht als besonderer Point-of-Sale eignen».

Die Weltbevölkerung soll bis zum Jahr 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen ansteigen. Hinzu kommt, dass die größer werdenden Städte Anbauflächen verdrängen und die Nachfrage nach frischem Gemüse und Früchten infolge des wachsenden Wohlstands und Gesundheitsbewusstseins weiter ansteigen wird. Die Wissenschaft arbeitet mittlerweile mit Hochdruck daran, neue Anbaumethoden zu entwickeln, die einerseits weniger Platz benötigen, effizienter sind und natürliche Ressourcen schonen sowie andererseits in der Lage sind, das große Problem des Food Waste zu beheben. Im Zuge der 4. industriellen Revolution und mit dem Internet der Dinge macht die Landwirtschaft einen großen Schritt in Richtung vollständiger Automatisierung: Maschinen, Anlagen und Computer kommunizieren und kooperieren alle direkt miteinander. Precision Farming ist ein Begriff, der oft in Zusammenhang mit Big Data in der Landwirtschaft genannt wird. Beim Precision Farming werden Unterschiede des Bodens und des Mikroklimas einer Anbaufläche berücksichtigt, um auf diese Weise den Ertrag zu optimieren. Aufgrund einer teilflächenspezifischen Bewirtschaftung kann die Saat- und Düngermenge an den jeweiligen Boden angepasst und so die ökologische Belastung durch Chemikalien reduziert werden.

Neues smartes Packaging 

Die Ansprüche der Konsumenten an Convenience und die Anforderungen der Industrie hinsichtlich der logistischen Effizienz und langen Frische der Produkte haben in den vergangen Jahren zu einer Zunahme an Kunststoffverpackungen geführt. Dies wird aber von den Konsumenten zunehmend kritisch gesehen, und deshalb wird auch im Frischebereich nach Lösungen mit weniger oder umweltfreundlichen Verpackungen gesucht. 

Auch die Logistik vom Feld hin zu den Verteilzentren, Supermärkten, Restaurants und Konsumenten wird aufgrund der Digitalisierung grundlegende Veränderungen erfahren. Hinzu kommt der sich wandelnde Lifestyle. Infolge von Individualisierung und flexiblen Arbeitszeitmodellen sind feste Mahlzeiten nicht mehr die Regel. Vielmehr will der Konsument immer und überall essen können. Nicht nur schnell, auch gesund und gut soll es sein. Da die Zeit zum Einkaufen und selber Kochen oft fehlt, müssen neue Wege gefunden werden, um das gesunde Essen zum Konsumenten zu bringen. Der technologische Fortschritt eröffnet völlig neue Transportmöglichkeiten. Die Verteilung der Güter von A nach B ohne direkten menschlichen Eingriff ist infolge der Automatisierung bereits Realität. Mithilfe von Drohnen werden die Lieferungen vom Boden in die Luft verlagert, was die Transportzeit sowohl in verkehrsreichen Städten als auch in ländlichen Gebieten mit schwierigem Terrain enorm verringert. Jedoch geschieht nicht nur in der Luft, sondern auch auf dem Boden einiges. So gibt es bereits heute Lieferroboter, die sich autonom durch die Straßen bewegen und Hindernissen gekonnt ausweichen. Bis eigenständig fahrende Autos, Lastwagen und Züge zum normalen Strassenbild gehören werden, scheint ebenfalls nur noch eine Frage der Zeit zu sein.  

Lieferdienste setzen auf  Gesundes

Bis vor wenigen Jahren wurden Lieferservices mit Pizza, Burger und fettigen Asia-Gerichten assoziiert. Die Delivery-Branche versucht dieses ungesunde Image jedoch mithilfe von ausgewogenen Alternativen abzustreifen. In Kooperationen mit Restaurants haben Lieferdienste nun zudem frisch von einem Sternekoch zubereitete und gesunde Menüs im Angebot. Wer lieber selber kochen will, jedoch den Aufwand für Einkauf und Menüplanung scheut, wird ebenfalls fündig. Sogenannte DIY-Delivery-Services lassen ihre Kunden aus einer Vielzahl fixer Menüs auswählen und liefern anschliessend die passende Menge an Zutaten inklusive Rezept bis an die Haustür. Sie bedienen ein bisher unbefriedigtes Bedürfnis nach frischem Gemüse und Früchten, nach neuen Ideen und Inputs.

Die Nachfrage nach biologisch oder fair produzierten Erzeugnissen bleibt bestehen und Konsumenten sind zudem bereit, dafür tiefer ins Portemonnaie zu greifen. Bei Früchten und Gemüse ist der Unterschied zwischen Bio- oder Fairtrade- und regulären Produkten rein optisch oder geschmacklich allerdings nicht auszumachen. Aus diesem Grund bedarf es neben Zertifikaten auch der Transparenz in der Wertschöpfungskette, um den Konsumenten eine Sicherheit bieten und den höheren Preis rechtfertigen zu können.

LEH muss mitziehen

Fazit für den klassischen LEH: Der klassische Einzelhandel gerät zunehmend unter Druck und wird gefordert sein, selbst Plattformen anzubieten. Dafür muss er Daten gewinnen: Je mehr er vom Konsumenten weiss, desto besser kann er die Produktion und die Logistik organisieren und die Bedürfnisse befriedigen. Dem Kunden müssen Anreize und einfache Lösungen geboten werden, seine Daten mit dem Handel zu teilen. Wichtig ist für Konsumenten ein Gefühl der Sicherheit, dass damit kein Missbrauch betrieben wird. Dafür muss ein konkreter Mehrwert geboten werden, zum Beispiel mithilfe einer besseren und individuelleren Abstimmung auf meinen Ernährungsplan. «Daten werden zur neuen Währung», sagen die GDI-Experten. «Der Konsument erwartet für seine Daten einen Gegenwert.» 

Als «fiebriger Ticker für die Trendschübe in puncto Ernährung gelten die Sozialen Medien», heisst es in der Studie. Rasche Trendwechsel, Hype-Produkte, die von einer großen Zahl an Kunden sofort gewünscht werden, bilden für die Fruchtbranche allerdings ein Problem. Denn sie stellt ein Naturprodukt her, das sich solchen sprunghaft ändernden Rahmenbedingungen nur bedingt unterwerfen kann. Freilich stehen die populären Kanäle ebenfalls der Branche selber offen. Sie kann versuchen, den Social-Media-Mechanismus zu nutzen, um ihre Themen zu positionieren. Blogger (Instagram), Youtube-Kanäle, Promiköche – auch hier ist das Feld für die Fruchtbranche sehr weit.

News

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Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Tipps

Beispiele für innovative Projekte:
  • Mithilfe der Leafy Green Machine von Freight Farms produziert Google auf seinem Campus frisches Gemüse in ehemaligen Frachtcontainern. www.goo.gl/SbyWZp 
  • Philips erforscht in seinem GrowWise Center in Eindhoven die optimale Beleuchtung und das geeignete Klima für Indoor-Farms, um deren Produktion zu optimieren. www.goo.gl/I3JU47
  • Farmbot Genesis ist ein vollautomatischer Farming-Roboter, der sowohl anpflanzen als auch bewässern kann. Seine Software ist Open-Source, so dass jeder davon profitieren kann. www.genesis.farmbot.io 
  • Gemäß DHL lautet die Frage nicht «ob», sondern «wann» selbstfahrende Fahrzeuge die Logistik von Grund auf verändern werden. www.goo.gl/8nxLvo  
  • Homepage und Buch mit gesunden Rezepten für einen healthy Lifestyle. Da mit einer ordentlichen Prise Fluchwörtern gewürzt, sind die Tipps im Internet sehr beliebt.  www.thugkitchen.com   

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