Kein Pardon mehr bei Ladendiebstahl

Freitag, 06. Oktober 2017
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Die Anzahl an einfachen Ladendiebstählen geht kontinuierlich zurück, die der schweren nimmt zu. Welche Präventiv-Massnahmen der Handel ergreifen sollte.

Zwei Wasserkästen stehen übereinandergestapelt im Einkaufswagen. Im unteren befinden sich auch drei Flaschen Wodka, die der Kunde an der Kasse allerdings nicht angibt. Aus dem Kunden ist ein Dieb geworden. Vom Trickbetrug bis hin zum Einstecken der Ware direkt am Regal – Diebstahl am Point of Sale ist nach wie vor ein grosses Thema für den LEH. Der Handelsverband Deutschland (HDE) beziffert den dadurch entstandenen Schaden auf jährlich mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr. Das EHI Retail Institute beziffert für das Jahr 2016 sogar einen Schaden von 3,4 Milliarden Euro. Es sind überwiegend die unehrlichen Kunden, die hauptverantwortlich sind für den Schaden (2,26 Milliarden Euro). Markt-Mitarbeiter entwendeten laut EHI Waren im Wert von 820 Millionen Euro, Servicekräfte im Wert von etwa 300 Milliarden Euro.

Schutzkleidung gegen Stichverletzungen

Auffällig sei dabei, dass die Zahl der einfachen Diebstähle seit 1997 zwar sinke, die schweren Delikte jedoch zunähmen. Nach Angaben des HDE sind sie zwischen 2013 und 2016 um 30 Prozent gestiegen. Unter «schweren Diebstählen» versteht man dabei allerdings keine Raubüberfälle. Vielmehr erklärt eine Polizeisprecherin: «Es gilt die Faustformel: Alles, was zu überwinden ist, um zu stehlen, zum Beispiel das Einschlagen einer Scheibe, fällt in den «schweren Bereich».» Laut Polizeistatistik gab es 2016 auch keinen registrierten Ladendiebstahl, in den eine Schusswaffe involviert gewesen wäre. Dennoch berichtet Frank Horst, Leiter des Forschungsbereichs Inventurdifferenzen und Sicherheit beim EHI, von Kaufhäusern, in denen das Sicherheitspersonal mittlerweile Schutzkleidung trage, um sich gegen Stichverletzungen zu abzusichern.

Zahlreiche Erfahrungen der Händler zeigen laut EHI, dass Diebstähle nicht immer der harmlose Gelegenheits-Klau, etwa durch Teenager sind, und zudem immer häufiger in organisierter Form geschehen: «Rund ein Viertel aller Ladendiebstähle entfällt wertmässig auf Bandendiebstähle und organisierte Kriminalität», so die Schätzungen des Instituts.

Trotz dieser Beobachtungen betont die Polizei, dass die Mehrheit der Diebe Erst- und Einzeltäter seien. Und gerade vor diesem Hintergrund rät Frank Horst, jeden Diebstahl anzuzeigen, auch wenn es sich um Kinder oder Stammkunden handele. «Bei einem Ersttäter stellt die Staatsanwaltschaft in der Regel die Ermittlungen ein, registriert den Täter jedoch bereits im System», erklärt er. Werde der Dieb dann wieder tätig, gelte er nicht mehr als Ersttäter. Frank Horst betont zudem: «Wer nicht erwischt oder angezeigt wird, klaut wieder.»

Mit Kundenfreundlichkeit gegen Diebstahl

Als Präventiv-Massnahmen gegen Diebstahl ist dabei im Übrigen Kundenfreundlichkeit eines der besten Mittel: «Wer sich beobachtet fühlt, lässt von seinem Vorhaben zu klauen ab», erklärt Horst. Deswegen seien Augenkontakt und eine Ansprache im Sinne von: «Kann ich Ihnen helfen?» wirkungsvoll. An der Kasse wiederum sollten die Verkäufer in lose Verpackungen wie Eierkartons oder übereinandergestapelten Wasserkästen schauen, um zu sehen, ob dort etwa ein Kajal beziehungsweise Spirituosen versteckt sind.

Auch mit Änderungen der Geschäftseinrichtung lassen sich Diebstähle reduzieren. Etwa rät der EHI-Experte dazu, die Regale nur so hoch zu bauen, dass die Verkäufer sie überblicken können. «Auch nutzen Diebe gerne dunkle, uneinsehbare Ecken dazu, entwendete Produkte wie Parfums aus ihrer Verpackung zu nehmen und dann einzustecken.» An solche Plätze gehörten Licht, Kameras und zum Beispiel noch ein Regal.

Zudem sieht Horst den aktuellen Trend hin zu einer offenen grosszügig gestalteten Ladenfläche, auf der oftmals Ein- und Ausgang derselbe seien, kritisch. «Früher ging man vorne durch ein Drehkreuz und musste am Ende an der Kasse vorbei.» Heute sei das oft nicht so, Diebe könnten, unbeachtet von den Kassierern den Laden verlassen. «An einem solch offenen Ausgang sollte man zum Beispiel eine Informationstheke platzieren», rät Horst.

Auf Diebeszug mit Kinderwagen und Zeitschriftenrolle

Doch wie können die Mitarbeiter am Point of Sale einem Kunden überhaupt ansehen, was seine Absichten sind? Bei Ersttätern ist dies laut Polizei etwa an auffallender Nervosität und «häufigem, betont unauffälligem Umherblicken» erkennbar. Subtiler ist das Verhalten von Profis: Sie suchten günstige Tatgelegenheiten bewusst oder schafften sie selbst. «Dabei wird beispielsweise das Personal durch besondere Kaufwünsche, Gespräche oder durch Auskunftsersuchen abgelenkt, während Komplizen den Täter beim Diebstahl abdecken», heisst es auf der Homepage der Polizeiberatung. Profis verwendeten im Übrigen oft Behälter wie einen Regenschirm, Kinderwagen oder eine Zeitungs- oder Zeitschriftenrolle. Manche tarnten sich als Einarmige oder verkleideten sich als Dekorateur, Lagerarbeiter und Lieferant.

Meint ein Verkäufer, einen Diebstahl beobachtet zu haben, bittet man ihn, so Frank Horst, ins Büro, mit der Begründung, dass es Ungereimtheiten gebe, die man klären wolle. «Auf dem Weg zum Büro ist es dabei ratsam, Abstand zu halten, so kann man auch gut sehen, ob der Täter heimlich versucht, die Diebesware loszuwerden», rät er. Auch solle man immer einen Kollegen hinzubitten, um einen Zeugen zu haben und um sich selbst zu schützen. «Wichtig ist auch, dass man die Polizei ruft. Nur sie darf im Übrigen einen mutmasslichen Täter durchsuchen.» Wichtig bei aller Aufregung ist dabei, dass der Mitarbeiter freundlich bleibt und mit dem Kunden höflich umgeht, denn wie Frank Horst betont: «Ladendiebstahl ist erst dann nachweisbar, wenn er vollendet ist, wenn die Ware eingesteckt und auch gefunden wurde.»

 

Interview

Frank Horst, Leiter Forschungsbereich Inventurdifferenzen und Sicherheit beim EHI Retail Institute zum Vorkommen von Diebstählen und möglichen Präventions-Massnahmen

Herr Horst, in welchen Regionen, an welchen Lagen, zu welchen Zeiten und in welcher Saison treten Diebe am häufigsten auf?
Generalisieren kann man das nicht, Tendenzen gehen aber dahin, dass in prekären Geschäftslagen wie in Bahnhofsgegenden und in der Nähe von Schulen oder Asylbewerberheimen die Diebstahlrate etwas höher ist. Tendenziell wird eher dann geklaut, wenn wenig Betrieb im Geschäft herrscht und die Gefahr für den Dieb gering ist, dass andere Kunden ihn sehen. Deutschlandweit beobachten wir ein gewisses Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle. Das heisst, im Norden und Westen ist die Zahl angezeigter Diebstähle höher, gemessen an der Einwohnerzahl. Auch geschehen in den Grossstädten häufig mehr Diebstähle, was gern einer größeren Anonymität zugeschrieben wird.

Inwiefern wirkt sich die Interieur-Gestaltung eines Supermarktes auf das Aufkommen von Diebstählen aus?
Derzeit geht der Trend dahin, den Eingangs- und Ausgansbereich offener zu gestalten. Früher hatte man vorne ein Drehkreuz, durch das die Kunden mussten, und am Ausgang mussten sie die Kasse passieren. Heute können sie teilweise den Laden durch den Eingang auch wieder verlassen, was es Dieben einfacher macht. Deswegen sollte man Kameras installieren, die es melden, wenn sich jemand in entgegengesetzter Richtung bewegt. Zusätzlich sollte man am Ausgang etwa eine Infotheke installieren, so dass ein Mitarbeiter von dort aus den Ausgang im Blick hat.
Auch müssen dunkle Ecken des Geschäfts ausgeleuchtet werden und dort gehört auch eine Kamera hin, denn solche Orte nutzen Diebe gerne, um Ware aus den Verpackungen zu nehmen und einzustecken. Regale wiederum sollten nicht zu hoch und so angeordnet sein, dass die Mitarbeiter sie überschauen und auch von der Kasse aus in die Gänge blicken können.

Auf welche Verhaltensmuster können Supermarkt-Verkäufer achten, um Diebe zu erkennen und wie können sie Diebstähle vermeiden?
Oft haben die Mitarbeiter nur an der Bedientheke und an der Kasse Kontakt zu den Kunden. An der Kasse sollten sie prüfen, ob sich etwas unter der Tasche befindet, die im Einkaufswagen liegt. Auch sollten sie in alles, was nicht mehr original verpackt ist, hineinschauen. Zum Beispiel könnte sich in Eierkartons ein Kajalstift verstecken. Es passiert auch, dass Kunden Wasserkästen übereinanderstapeln und im untersten befindet sich in der Mitte eine Flasche Champagner oder ähnliches.

Bemerken Mitarbeiter auffälliges Verhalten, sind Augenkontakt und eine Kundenansprache, etwa: «Kann ich Ihnen helfen?» das wichtigste. Wenn sich ein potenzieller Täter beobachtet fühlt, lässt er von seinem Vorhaben ab.

Warum ist die Dunkelziffer mit über achtundneunzig Prozent aller angezeigten Fälle so hoch?
Diebstähle werden eben selten beobachtet. Oftmals ist zu wenig Personal auf der Fläche, um überhaupt Diebstähle erkennen zu können. Durch die erweiterten Öffnungszeiten in den letzten Jahren ist die „Flächenaufsicht“ immer schwieriger geworden. Die Mitarbeiter sehen vieles gar nicht. Beobachten sie allerdings einen Diebstahl, kann es sein, dass sie Angst haben. Sie wissen nicht, ob die Person gewaltbereit ist. Tatsächlich nimmt die Gewaltbereitschaft von Tätern zu. Schusswaffen sind zwar eher kein Thema, Messer jedoch.

Wie sollte sich ein Mitarbeiter verhalten, wenn er einen Diebstahl beobachtet?
Er sollte die Person höflich und freundlich ansprechen und ins Büro bitten, da es Ungereimtheiten gebe, die man klären wolle. Dabei gilt das Jedermannsrecht: Man darf, wenn man eine Straftat beobachtet hat, jemanden festhalten, bis die Polizei kommt. Auf dem Weg zum Büro ist es dabei ratsam, Abstand zu halten, so kann man auch gut sehen, ob der Täter heimlich versucht, Diebesware loszuwerden. Für das Gespräch sollte man einen Kollegen hinzubitten – erstens zum eigenen Schutz und zweitens, um einen Zeugen zu haben. Gibt der Dieb den Vorfall nicht zu, muss man warten, bis die Polizei kommt. Sie hat das Hoheitsrecht, das heisst, nur sie darf eine Person durchsuchen.

Darf man auch mal ein Auge zudrücken, etwa wenn ein Kind etwas gestohlen hat?
Wir empfehlen, alle Fälle anzuzeigen, auch wenn jemand nur eine Kleinigkeit mitgenommen hat. Bei Kindern hat das einen erzieherischen Effekt, zumal die Polizei sie nach dem Vorfall bei den Eltern vorbeibringt. Ein weiteres Argument für eine Anzeige: Bei einem Ersttäter stellt die Staatsanwaltschaft in der Regel die Ermittlungen ein, registriert den Täter jedoch bereits im System. Wird der Dieb dann wieder tätig, gilt er nicht mehr als Ersttäter. Ausserdem: Wer nicht erwischt oder angezeigt wird, klaut wieder.

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Info

Anteil der Tatverdächtigen nach Alter:
- bis 14 Jahre 7%
- bis 18 Jahre 14%
- bis 30 Jahre 29%
- bis 60 Jahre 38%
- über 60 Jahre 12%

Quelle: Produktvergleichsportal billiger.de

Info

Laut dem Hersteller von Warensicherungen, IMCo Inventory Management Consultants e.K., liegt die Herausforderung darin, Systeme zu entwickeln, die einerseits das Einkaufserlebnis mit einer offenen Produktpräsentation bewahren und andererseits genau an dieser Stelle einen effektiven Schutz gegen Diebstahl zu integrieren. Basierend auf seinen empirischen Erkenntnissen hat IMCo Warensicherungssysteme entwickelt, die nicht nur Gelegenheitsdiebstähle im Einzelhandel reduzieren, sondern auch kriminelle Aktivitäten organisierter Banden nachhaltig stören. Zu den neuen Lösungen gehört das IMCo Shelf System, welches Diebstahl direkt am Regal erkennt und unverzüglich Alarm schlägt. So können Tatverdächtige von Filialmitarbeitern serviceorientiert angesprochen werden. Optional können Videoüberwachungs- oder Beschallungsanlagen angesteuert werden. Laut IMCo können mit solchen Systemen Inventurdifferenzen um bis zu 88 Prozent reduziert und der Abverkauf um bis zu 14 Prozent gesteigert werden. Die patentierten Systeme fördern den Verkauf durch die offene Produktpräsentation und schützen gleichzeitig effektiv vor Profidieben.