Gesund leben ist das Ziel

Montag, 06. März 2017
Foto: Fotolia (P. Atkins)

Gesundheit als Megatrend entwickelt sich zunehmend zu einer Norm, die sozialen Druck auf jeden Einzelnen ausübt. Was Menschen erwarten – und welche Rolle die Lebensmittelbranche dabei spielt.

Gesünder leben – das ist für eine wachsende Anzahl der Deutschen nicht nur einer der berühmten guten Vorsätze, die zum Jahreswechsel gefasst werden und kurz danach wieder in Vergessenheit geraten. Gesundheit ist zum globalen Megatrend avanciert, spielt eine zentrale Rolle in unserer individualisierten Gesellschaft und wird zunehmend Lebenssinn und Lebensziel. Wer gesund lebt, so der Tenor, lebt ein gutes Leben – so eine Erkenntnis der Trendstudie „Gesundes Leben in der Zukunft“, die das Frankfurter Zukunftsinstitut unlängst publiziert hat. Gesundheit ist danach eine sehr komplexe Angelegenheit, bei der die Verantwortung für gesundes Leben nicht ausschließlich in der Macht des Einzelnen liegt, in seiner genetischen Disposition und seinen Verhaltensweisen. Gesundes Leben ist in ein Wirkungsnetzwerk eingebettet, zu denen die individuellen Lebens- und Umgebungsbedingungen zählen, also beispielsweise die individuellen Arbeitsplatzsituation, die Umweltbedingungen, das Wohnen und das individuelle Gesundheitswissen. Die Aufforderung, sich mit der eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen, begegnet uns an allen Stellen des Alltags – insbesondere auch beim Einkauf: Gesundheitsprodukte sind in Deutschland nicht mehr nur in Apotheken oder Drogeriemärkten erhältlich, sondern immer stärker auch im Lebensmittelhandel inklusive Discountern zu finden.

Fit für die Herausforderungen des Berufsalltags

Die vor allem dem Einzelnen zugewiesene Gesundheitsverantwortung erzeugt einen hohen sozialen Druck und entwickelt sich immer mehr zu einer geforderten Norm – nicht zuletzt als Verpflichtung der Solidargemeinschaft gegenüber. Aus wirtschaftlicher Sicht geht es – selbst bei der Optimierung der psychischen Gesundheit – vor allem um eines: Effizienzsteigerung. Schlank, sportlich, gesund und fit sein, um die Herausforderungen im Berufsalltag optimal meistern zu können: Diesen Idealvorstellungen vom eigenen Ich folgten bisher neben jungen leistungsbewussten Menschen auch Ältere – hier vor allem als Anti-Aging unter dem Aspekt, die fortschreitende Alterung zu verzögern. Dieses Streben nach größtmöglicher Effizienz, so sagt Studienautorin Verena Muntschick, habe allerdings auch etwas Paradoxes, denn trotz dieses sozialen Drucks sei das Verhalten der Menschen längst nicht in allen Bereichen gesünder geworden. Weltweit sind laut WHO immer weniger Menschen körperlich ausreichend aktiv, verhalten sich konträr zu gesellschaftlichen Erwartungen und/oder den eigenen Wünschen nach einer gesünderen Lebensweise. In Deutschland hat das Credo der leistungsorientierten Selbstoptimierung vor allem zu einem geführt, zur Selbst-Erschöpfung, resümieren die Verfasser der Trendstudie.

Achtsamer Umgang mit Gesundheit und Körper

Allerdings kündigt  sich hier offenbar eine Trendumkehr an: Gesundheit wird von den Menschen inzwischen stärker als ein körperlich-seelischer Zustand definiert, bei dem die eigene Zufriedenheit eine wichtige Rolle spielt. Man wird achtsamer im Umgang mit sich selbst und nimmt die Einflüsse von Ernährung, Wohlbefinden am Arbeitsplatz und der Wirkung des Lebensumfelds auf Körper und Psyche stärker wahr. Im Zentrum steht dabei das Erkennen/Wissen, was wirklich wichtig ist für das eigene Gesundheitsbefinden, und dies hat immer auch mit Genussfähigkeit und Bewegungsverhalten, mit Spaß zu tun – nicht mit Leistung. Angestrebt wird eine Gesundzufriedenheit, ein achtsamer und gelassener (nicht: nachlässiger!) Umgang mit der Gesundheit, das Loslassen von dem Gedanken leistungsorientierter Selbstoptimierung. Auch hier ist die junge Generation ein starker Treiber; weiterhin zeigen die Älteren  eine besonders hohe Affinität zum Thema Gesundzufriedenheit.

Ernährung im Fokus der Gesundheitsvorsorge

Gesundheitsvorsorge liegt nach Meinung junger Leute in Deutschland vor allem in den eigenen Händen. 91 Prozent finden, dass jeder Mensch selbst für ein gesundheitsbewusstes Leben verantwortlich ist. Zugleich wird allerdings auch der Ruf nach Unterstützung durch staatliche Institutionen lauter, weil immer mehr Menschen erkennen, dass das Thema Gesundheit in ein komplexes Wirkungsfeld eingebettet ist und die eigenen Einflussmöglichkeiten sehr weitreichend sind. 86 Prozent der 14- bis 34-Jährigen wünschen sich beispielsweise mehr Anreize von den Krankenkassen einschließlich entsprechender Belohnungssysteme für ein nachweislich gesundes Leben. 74 Prozent halten das Schulfach „Gesundheit“ für sinnvoll, sogar 92 Prozent fordern eine verpflichtende Ernährungsbildung schon in Kitas und Schulen. Und eine höhere steuerliche Belastung von allgemein als ungesund eingestuften Lebensmitteln – insbesondere fett- oder zuckerreiche – können sich immerhin 43 Prozent vorstellen. Fast sechs von zehn Deutschen sind zudem der Meinung, der Staat solle gesundheitsgefährdende, ungesunde Lebensmittel aus dem Wirtschaftskreislauf heraushalten und die Menschen damit „vor sich selber“ schützen. Dahinter steht auch der Wunsch nach einer gesünderen Konsumwelt und einer Wirtschaft, die die Gesundheit ihrer Kunden ernst nimmt und selbst Verantwortung übernimmt, indem sie ein breites gesundes Warenangebot liefert, anstatt es mit ungesunden Optionen zu verwässern.

Erwartungen an LEH, gesunde Produkte in Vordergrund zu rücken

Spürbar wird, dass sich die gesunde Ernährung als Teil der Gesundheitsvorsorge auch immer mehr zu einer Norm entwickelt. Der soziale Druck rührt hier nicht zuletzt aus der Angst, Opfer und nicht Profiteur des Solidarprinzips der Krankenkassensysteme zu sein. Er macht aber auch eines deutlich: Menschen werden künftig immer weniger bereit sein, einen Lebensmittelmarkt zu akzeptieren, bei dem die Gesundheit von Produkten nicht an erster Stelle steht! Neben dem Lebensmittelhandel als Distributeur von gesunden Waren rücken natürlich auch die Sortimente anderer Einzelhandelsbranchen in den Fokus: etwa Bau- und Heimwerkermärkte, die auf ihre Weise zu einer gesünderen Umwelt beitragen können, so beispielsweise beim Wohnen, etwa in der Innenausstattung von Häusern und Wohnungen oder dem Outdoor-Living. Hier könnte etwa ein entsprechendes Angebot an Wandfarben oder Baustoffen, die Chemikalien und Verunreinigungen in der Luft absorbieren, für eine bessere Luft sorgen.

News

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Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Interview

Trendforscherin Verena Muntschick vom Zukunftsinstitut zu den aktuellen Entwicklungen beim Megatrend Gesundheit

Wie definieren Verbraucher heute Gesundheit – als leistungsorientierte Selbstoptimierung?
Aktuell beobachten wir einen Wandel beim Verständnis von Gesundheit als Optimierungsgegenstand hin zu Gesundheit als einem körperlich-seelischen Zustand, bei dem die eigene Zufriedenheit eine größere Rolle spielt als bestimmte Leistungsparameter. Das führt zu einem achtsameren Umgang mit sich selbst und einem erhöhten Bewusstsein für Ernährung, Wohlbefinden am Arbeitsplatz und die Wirkung des Lebensumfelds auf Körper und Psyche.

Welche Rolle spielt dabei gesunde Ernährung für die Mehrheit der Konsumenten?
Essen hat in den postmodernen Gesellschaften einen extrem hohen symbolischen Wert. Der Mensch drückt durch nichts heutzutage sein Lebensgefühl so sehr aus wie durch seine Ernährung. Als am gesündesten gelten aktuell Lebensmittel mit den Labels Regional und Bio. Zudem halten über 80 Prozent der Deutschen eine Ernährung ohne künstliche Aromen und ohne Gentechnik für gesundheitsfördernd. Mit dem neuen Fokus auf eine ganzheitliche Gesundzufriedenheit spielt aber auch der Genussaspekt eine immer größere Rolle: Gesund essen heißt immer auch, das Essen genießen zu können. Das stellt die Lebensmittelindustrie, vor allem aber den Fast-Food- und Convenience-Bereich, vor neue Herausforderungen. “Fast Good” ist hier das neue Schlagwort. Das heißt, Snacks, To-go- oder Convenience-Produkte müssen heute auch hohen gesundheitlichen und qualitativen Ansprüchen gerecht werden.

Wie ernst ist den Deutschen tatsächlich mit einer gesünderen Lebensweise?
Die junge Generation gilt als Treiber für den Megatrend Gesundheit und besitzt ein sehr hohes Gesundheitsbewusstsein: Die jungen Menschen von heute rauchen und trinken etwa weniger als die Generationen vor ihnen. Eine gesunde Lebensweise wird von ihnen zunehmend als Lebensziel verstanden und ist tief in ihrem gesellschaftlichen Wertesystem verankert. Während die Menschen in der Rush hour des Lebens zwar gesundheitsbewusst leben wollen, ihnen aber häufig der Stress des alltäglichen Lebens dazwischen kommt, sind es wiederum die Älteren, die mit besonderer Ruhe und Gelassenheit auf ein gesundes und vor allem auch zufriedenes Leben im Einklang mit ihren Bedürfnissen achten.

Welche Rolle spielt die Bildung?
Bildung kann auf verschiedenen Ebenen im Zusammenhang mit der eigenen Gesundheit stehen. Korrelationen deuten sich im selbst wahrgenommenen Gesundheitszustand an: Im europäischen Vergleich schätzen Personengruppen mit höherer Bildung ihren persönlichen Gesundheitszustand grundsätzlich als besser ein. Hingegen kann vermutet werden, dass ein niedriger Bildungsabschluss mit geringeren Investitionen in Gesundheit und mit weniger Aufmerksamkeit für und Wissen über gesunde Lebensverhältnisse einhergeht. Gesundheitsaufklärung wird also nach wie vor eine wichtige Aufgabe für die Zukunft sein, um der sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken.

Wie stark sollte gesunde Ernährung nach Einschätzung der Verbraucher aktiv von außen gefordert/gefördert werden, z. B. durch Normen/Gesetze, Sanktionen seitens des Staates, der Krankenkassen etc.?
Der Wunsch nach Orientierung und Sicherheit ist heute überall und damit auch im Bereich gesunder Ernährung spürbar. Aktuell sprechen sich Konsumentinnen und Konsumenten mehrheitlich für eine verpflichtende Ernährungsbildung aus. Staatliche Vorgaben und Richtlinien innerhalb der Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel werden immer wichtiger. Möglicherweise wird sich das Labeling in Zukunft umkehren, so dass nicht mehr besonders gesunde Lebensmittel mit Bio-Siegeln gekennzeichnet werden müssen, sondern andersherum besonders ungesunde Artikel ein gesondertes Label bekommen – das sehen wir auf den Zigarettenpackungen schon heute. Die Tendenz ist klar: Lebensmittel, bei denen Gesundheit nicht an erster Stelle steht, werden von immer weniger Menschen gekauft.

Welche Chancen ergeben sich für den Lebensmittelhandel (inkl. Discount) und Drogeriemärkte, die ja bereits immer mehr vegetarische, vegane, Bio- und regionale Lebensmittel anbieten?
Es gibt dazu keine pauschale Antwort für den gesamten Lebensmittelhandel, denn jeder Zweig, sei es der Discount oder der Premium-Bereich, wird sich auf seine Art und Weise auf die veränderten Lebensumstände und gesellschaftlichen Herausforderungen einstellen müssen. In punkto gesundes Lebensmittelangebot können sie sich aber auf jeden Fall in die Vorreiterrolle begeben. Wer es dann noch schafft, die fortschreitende Digitalisierung mit in sein Geschäftsmodell zu integrieren, etwa durch digitale Informationsbereitstellung am POS  über interaktive Touch-Displays, wird auch die gesundheitsbewussten und gleichzeitig digital vernetzten Zielgruppen der Zukunft erreichen können.

 

Infos

Super-Wachstum
Der Absatz von Superfoods (Früchte, Beeren, Körner, Samen) steigt laut IRI in LEH und Drogeriemärkten sprunghaft an; die Wachstumsraten im letzten Jahr lagen teilweise im dreistelligen Prozentbereich, so etwa bei Amaranth. Auch Kokosmehl, Mandelmehl und Matcha-Tee verzeichnen enorme Zuwächse, wenngleich noch bei deutlich geringerer Tonnage. Marktforscher und Handel wittern hier auch künftig gute Geschäfte. „Superfoods sind keine kurzfristige Mode, hier entwickelt sich ein nachhaltiger Trend“, heißt es beispielsweise bei der Reformhaus-Genossenschaft. Denn dahinter stehe der grundsätzliche Gedanke, verantwortungsvoll mit seinem Körper und seiner Gesundheit umzugehen – und das sei gerade bei der jungen Generation zunehmend stark ausgeprägt. Die Nutzer versprechen sich davon eine Stärkung des Immunsystems, eine längere Fitness, eine schlanke Figur und teilweise sogar eine bessere Stimmung. Superfoods-Importe aus Südamerika dürften in den kommenden Jahren auch in noch größerem Umfang den Weg in deutsche Supermarktregale finden. Bürokratische Handelshemmnisse hatten die Einfuhr auf dem europäischen Markt bislang gebremst; inzwischen wurde die entsprechende Rechtsgrundlage dafür angepasst und die Zulassung vereinfacht.

 

Trends

Die Deutschen zeigen in den letzten Jahren deutliche Verhaltensänderungen in Richtung einer gesünderen Ernährung.

  • 1970 lag der Pro-Kopf- Bierkonsum im Vergleich zu Mineralwasser noch bei 150 Litern zu 110 Litern Wasser. Aktuell hat sich dieses Verhältnis nahezu umgekehrt, mit weiter steigender Tendenz bei Mineralwasser. Wenn Bier, dann geht der Trend heute zum Exklusiven und handwerklich Gebrauten, ist also eindeutig qualitäts- und genussorientiert.
  • Fertiggerichte haben kein gesundes Image: Sie entsprechen oft nicht mehr nicht mehr den heutigen Anforderungen der Verbraucher an eine gesunde, ausgewogene und genussvolle Ernährung. Nach einer Marktstudie der Verbrauchs- und Medienanalyse VuMA sank die Anzahl der Verbraucher, die mehrmals pro Woche zu fertigen Komplettmahlzeiten greifen, in fünf Jahren von 2,1 Millionen auf 1,5 Millionen (2015:2010 = -29%).
  • Dagegen genießen Produkte wie Regional und Bio, Free-from-Produkte und vegane Lebensmittel einen hohen Stellenwert als gesunde Produkte. 86 Prozent der deutschen Verbraucher sehen dabei laut KPMG die regionalen Produkte an erster Stelle, gefolgt von Bio (84%) und Produkten ohne künstliche Aromen sowie gentechnikfreien Lebensmitteln (jeweils 83%).

Quelle: Studie Gesundes Leben in der Zukunft, Zukunftsinstitut